Zindy und die Sternsinger
„Habt ihr schon etwas für die Sternsinger hergerichtet?“ fragte Oma Charlotte beim gemeinsamen Sonntagsfrühstück im Esszimmer der Knirpse.
Sternsinger? Was war denn das schon wieder? Selbst nach Weihnachten hielt dieses Weihnachten anscheinend noch Überraschungen für den kleinen Stoff-Orang-Utan bereit.
Interessiert hatte sie beobachtet wie Papa Daniel die drei Könige, die ja vor dem Heiligen Abend zusammen mit dem Jesuskind in einer Schublade verschwunden waren, drei Tage nach dem Fest wieder auftauchen ließ. Zuerst waren sie nur ganz am äußeren Rand erschienen. Doch dann wurden sie jeden Tag ein kleines Stück weiterbewegt bis sie gestern endlich den Stall mit Josef, Maria und dem Kind in der Krippe erreicht hatten.
Zu Zindys Glück drehte sich das Gespräch noch eine ganze Weile um das Thema Heilige Drei Könige und Sternsinger, so dass sie es am Schluss verstand.
Die Könige waren damals einem Stern gefolgt, der sie bis zur Krippe in einen Stall bei Bethlehem geführt hatte. Sie waren vornehm, reich und heilig und hatten dem Kind darum Geschenke mitgebracht.
Gold. Etwas zum Rauchen. Und irgendein Öl oder so. Zindy hätte ja einen Geschenkgutschein praktischer gefunden, aber nett war es trotzdem von den Königen gewesen. Schließlich waren sie ja nicht einmal mit ihm verwandt.
In Erinnerung daran liefen sie nun jedes Jahr von Haus zu Haus, nur dass sie statt Geschenke zu bringen für Kinder sammelten. Und heute oder morgen kamen diese Könige wohl zusammen mit dem Stern bei ihnen vorbei.
Und sangen dabei.
Darum auch Sternsinger.
Da die Könige vorher keine Termine ausmachten, konnten sie blöderweise den ganzen Tag über auftauchen. Egal ob man gerade aß, telefonierte oder schlief. Nun gut. Erstes hatte sie gerade erledigt. Zweites war meist erst am späteren Abend. Und drittes konnte warten. Oder noch viel besser. Sie postierte sich ganz oben auf der Garderobe. Mit einer von Niklas coolen Skaterwollmützen war es da kuschelig und für den Fall, dass sie doch einschlief, war sie beim ersten Klingeln an der Haustür sofort wach.
Zindy hatte gut daran getan die Mütze mitzunehmen. Zunächst geschah nämlich stundenlang gar nichts. Sie zählte fünf Mal bis vierzehn, sagte alle Stofftierregeln auf (was sehr schnell ging) und sang den Teil des Laterneliedes, an den sie sich noch erinnern konnte. Dabei nickte sie nur ganz kurz weg. Um ein leichtes Hungergefühl im Keim zu ersticken organisierte sie sich als Mittagssnack eines der letzten Schokoladenplätzchen. Sie schlief wieder etwas und dann als sie schon fast aufgeben wollte, geschah endlich etwas.
Sie hörte Schritte, die von mehreren Personen stammen mussten, laute Stimmen und lustiges Gekicher vor der Haustür.
Das konnten unmöglich die Könige sein war sich Zindy sicher und drehte sich auf die andere Seite. Könige waren würdevoll und nicht albern.
Trotzdem läutete es an der Haustür.
„Nicht weggehen! Wir kommen“, riefen Oma Charlotte und Mama Kathrin gleichzeitig aus dem Wohnzimmer, wo die beiden es sich mit einer Tasse Kaffee gemütlich gemacht hatten. Kurz darauf waren sie auch schon an der Tür. Offensichtlich hatten sie noch jemanden erwartet.
Mama Kathrin öffnete die Haustür. Zindy schielte kurz an ihr vorbei und sah zwei Erwachsene und vier Kinder. Vier verkleidete Kinder um genau zu sein.
Dreimal König und einmal Stern.
„Ihr seht ja entzückend aus“, strahlte Mama Kathrin die Kinder an. „Mein Niklas sollte ja auch immer bei euch mitmachen, aber er hatte einfach keine Lust. Einmal erschien er gar als Krokodil- Danach wollten sie ihn dann auch nicht mehr.“
Bis auf Zindy lachten alle los. Die verstand den Witz nicht. Krokodile waren doch nett.
"Und ihr seid wer?“ Oma Charlotte spielte die Ahnungslose und sofort begann der gesamte Besuch zu singen.
„Wir kommen daher aus dem Morgenland, wir kommen geführt von Gottes Hand“, legten sie los und gaben dann alle vier Strophen des Liedes zum Besten.
Die Erwachsenen sangen und die drei als Könige verkleideten Kinder sangen und auch der Stern sang aus voller Kehle. Das Lied erzählte Zindy nochmals die Geschichte der Heiligen Drei Könige, die dem Stern gefolgt waren um das Jesuskind zu finden.
Verzückt schaute der kleine Stoff-Orang-Utan zwischen allen sechs Sängern hin und her. Die Frau bestimmte den Takt des Liedes. Der Mann, der mit mehreren Stofftaschen beladen war, brummte eher und die vier Kinder versuchten sich gegenseitig zu übertönen.
Zindy beobachtete sie genau. Der erste König war ziemlich blass geschminkt und hatte Probleme mit dem Text. Der zweite König war überhaupt nicht geschminkt, hatte sich aber einen Bart angeklebt. Der dritte König war sehr dunkel geschminkt und war immer wieder am Kichern. Was schließlich den Stern anging. Der war leuchtend gelb im Gesicht, strahlte die ganze Zeit und sah irgendwie aus wie jemand, den das kleine Stoff-Orang-Utan-Mädchen von irgendwoher kannte.
Sie starrte und überlegte und starrte und überlegte und dann war sie sich sicher. Vor ihr stand er.
Der ziemlich dumm dreinblickende Junge.
Nur dass er gar nicht so dumm dreinblickte, sondern sogar fast beinahe etwas ein bisschen nett. Von allen Kindern sang er am eifrigsten und auch am lautesten und dabei hielt er eine große Sammelbüchse in seinen Händen, deren Inhalt er im Takt zum Lied klappern ließ.
Als das Lied zu Ende war erzählten die Könige, dass sie anstatt Geschenke zu bringen für arme Kinder sammelten. Zindy fand das super, denn dieses Jesuskind war ja längst groß.
Auch Oma Charlotte und Mama Kathrin waren erfreut. Beide holten ihre Geldbeutel. Mama Kathrin steckte einen grauen und Oma Charlotte sogar einen roten Geldschein in die Sammeldose des kleinen gelben Sterns. Dafür gab Mama Kathrin der Frau noch eine Tafel Schokolade, die die in eine Stofftasche des Mannes stopfte.
Dann war es für die Sternsinger Zeit weiter zu ziehen. Oma Charlotte beschloss spontan sich der Gruppe für eine Weile anzuschließen. Sie hatte ihrer Freundin Daisy versprochen heute noch kurz vorbeizuschauen und da die Sternsinger in diese Richtung wollten, wollte sie sie bis dorthin unterstützen. Daisy wohnte schließlich nur ein paar Straßenzüge weiter.
Schnell zog sich Oma Charlotte Schal und Jacke an, ergriff ihre Handtasche und schloss sich der Sternsingergruppe an. Allerdings nicht schnell genug um einen kleinen Stoff-Orang-Utan daran zu hindern noch schneller in die offene Handtasche von Oma Charlotte zu schlüpfen und so mitzukommen. Sie wollte auch noch etwas mehr von diesen Sternsingern sehen und Daisys Wohnung war bestimmt interessant und cool.
Haus um Haus besuchten die Sternsinger und fast immer wurden sie freundlich empfangen. Münzen und Scheine wanderten in die Sammelbüchse und Schokoriegel, Kekse und Lutscher in die Stofftaschen. Das Geschäftsmodel schien sich zu lohnen. Lediglich bei einem Hauswaren sich alle einig, dass es etwas schwierig werden könnte.
„Ihr Mann ist immer sehr großzügig, aber wenn sie die Tür aufmacht wird es schwierig“, meinte die Frau.
Trotzdem läuteten sie auch hier.
Blöderweise öffnete die Frau die Tür.
Sie tat überrascht. „Mit euch habe ich ja gar nicht gerechnet“, jammerte sie. „Nichts habe ich vorbereitet und auch mein Geldbeutel ist so gut wie leer.“ Sie verschwand nach innen und kam mit ihrer Geldbörse zurück, in der sich tatsächlich nur drei rostbraune Münzen befanden. „Ach, ist das traurig.“
Ja, traurig ist das schon, dass du uns beschummeln willst, wusste Zindy. Als einzige hatte sie nämlich gesehen, dass die Frau drinnen rasch alle Scheine herausgenommen hatte. Aber nicht mit ihr! Sie ließ sich doch noch von einem Geizkragen überlisten.
Während die Kinder seufzten war sie zack im Haus. Sie schnappte sich zwei blaue Scheine, denn die waren besser als die grauen oder die roten, und beförderte sie mit Schwung nach draußen direkt vor die Füße der Frau.
Der Stern entdeckte sie als erster. „Aber da liegen doch vierzig Euro“, sagte er und zeigte nach unten.
Alle starrten zu Boden und sahen dann die Frau an. Und nicht nur Zindy wusste in diesem Augenblick, dass die Frau gelogen hatte.
„Ja, wo kommen die denn so plötzlich her.“ Der Frau war das sichtlich peinlich. Sie errötete ein wenig und weil sie nicht wusste, wie sie aus der Sache unbeschadet herauskommen sollte, stopfte sie zuerst den einen und dann auch den anderen Schein in die Büchse.
„Da sind sie jetzt doch froh, dass sie doch noch etwas für die Kinder haben“, sagte der kleine Stern und dann zogen sie weiter.
Wie die Kinder begriff Zindy nicht, warum die Erwachsenen schmunzelten.
Als sie bald darauf Daisys Haus erreichten, verabschiedete sich Oma Charlotte (und damit auch Zindy) von der Gruppe.
Daisy bekam die Geschichte natürlich brühwarm erzählt. Während die beiden älteren Damen sich köstlich amüsierten, gönnte sich der kleine Stoff-Orang-Utan fünf Mal an einer von Daisys hervorragenden Rumkugeln zu lecken.
Mehr traute sie sich nicht. Nicht dass sie noch betrunken wurde.
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