Zindy forever
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Zindy in Paris, Teil 1


Und schneller als gedacht war der Tag des Schüleraustauschs gekommen. Niklas, der wie alle den Erste-Hilfe-Kurs mit Bravour bestanden hatte, war aufgeregter als er zugab. Wenn ihm Mama Kathrin nicht seinen Pass hinterhergetragen hätte, wäre der auf dem Küchentisch liegen geblieben. Zum Glück hatte sie den Inhalt seiner Sporttasche schon am Vorabend gecheckt, denn sonst wäre er auch noch ohne Zahnbürste und Socken verreist. So aber war alles perfekt.
Bis auf eines.
„Wo ist mein Stofftier?“ fragte er als er schon abfahrbereit im Auto saß. Sein Kumpel und er hatten nämlich beschlossen je eines mitzunehmen. Mit denen im Schlepptau versprachen sich beide deutlich größere Chancen bei den Französinnen.
„Ich bringe es mit!“ stöhnte Papa Daniel, der ohnehin nochmals ins Haus zurück musste.
„Auf meinem Bett!“ rief ihm Niklas hinterher.
Dort sollte eigentlich Malaika sitzen. Die war aber bekanntlich nicht die Mutigste und vor diesem Frankreich hatte sie einen gehörigen Respekt. Deshalb hatte sie sich auch unter dem Kopfkissen versteckt. Statt ihrer saß Zindy auf dem Bett. Sie war von Kishas Wohnung herunter gekommen um Malaika noch ein paar letzte Tipps zu geben und war gerade erst aufs Bett gehüpft als jemand hereinkam.
Papa Daniel wunderte sich darüber nur kurz. Irgendwie hatte er zwar gedacht, der Affe gehöre zu seiner Tochter, aber da er den Auftrag hatte das Stofftier vom Bett mitzubringen, schnappte er sich Zindy und nahm sie mit zu Niklas. Der ergriff sie ohne von seinem Handy aufzusehen, stopfte sie in seinen kleinen Rucksack und zog den Reißverschluss zu. Zwanzig Minuten später war Zindy in einem Bus unterwegs nach Frankreich.
Zunächst verhielt sich Zindy noch still. Sie war etwas geschockt von dem, was soeben passiert war. Denn das hatte sie gewiss nicht vorgehabt. Was würde Kisha dazu sagen? Und mit wem sollte sie die nächsten Tage reden? Sie sprach doch kein Wort französisch.
Das erste Problem war schnell gelöst. Niklas entdeckte den kleinen Stoff-Orang-Utan knapp eine Stunde später als er etwas in seinem Rucksack suchte und schickte sofort eine Nachricht auf Kishas Handy.
„Unser Vater hat die Stofftiere verwechselt. Aber keine Angst. Ich bringe dir deine Zindy unbeschädigt zurück. Versprochen!“ lautete die Botschaft. Um seine Schwester endgültig zu beruhigen platzierte er Zindy mit einem Keks am Fenster und schickte Kisha ein Beweisfoto. „Es geht ihr gut. Sie genießt die Busfahrt in vollen Zügen.“
Das tat Zindy in der Tat. Nun, da Kisha Bescheid wusste, beschloss sie das Beste aus dem Missverständnis zu machen: Essen und Spaß haben.
Das klappte auch vorzüglich. Einen Teil von Niklas Mitreisenden kannte sie ja schon vom Erste-Hilfe-Kurs. Immer wieder wurde sie vor allem von den Mädchen mit neuen Kissen, Decken und vor allem Keksen und Obst versorgt.
Die Busfahrt dauerte lange, aber Zindy war gut beschäftigt. Wenn sie nicht neugierig aus dem Fenster sah, aß sie. Wenn sie nicht aß, dann schlief sie und wenn sie nicht schlief, schaute sie wahlweise aus dem Fenster oder aß etwas. In der gefühlt elf eins vierzehnten Schlafphase war es dann endlich so weit.
„Paris!“ rief ein Mädchen und sofort war der gesamte Bus (auch die meisten Schüler waren etwas weggedöst) inclusive des kleinen Stoff-Orang-Utans hellwach. Die Nase an die Scheibe gepresst starrte sie verzückt nach draußen.
Sie waren morgens um sieben losgefahren. Jetzt war es früher Abend und die Hauptstadt Frankreichs war ein einziges Lichtermeer. Zindy fand es wunderschön.
Der Bus hielt bald darauf auf einem Platz vor einem großen Gebäude. Die Schülerinnen und Schüler wurden auf ihre Gastfamilien verteilt und ehe Zindy sich versah, steckte sie im Rucksack zwischen Niklas und einem ihr fremden Jungen auf dem Rücksitz eines Autos.
Niklas und Jules – so hieß der Junge – plauderten munter drauflos. Niklas zu Beginn eher stockend, Jules jedoch ununterbrochen und Zindy verstand kein Wort. Als Niklas sie bald darauf in Jules Zimmer aus dem Rucksack befreite und auf das zweite Bett setzte, grinste Jules über das ganze Gesicht. Er sagte etwas, dass furchtbar nett klang und blickte sich suchend in seinem Zimmer um. Er hatte das, was er suchte noch nicht entdeckt, als die Stimme einer Frau zu hören war. Jules packte Niklas am Arm. „Plü tar“, lachte er und die beiden verschwanden aus dem Zimmer.
Nun war Zindy in dem halbdunklen Raum allein. Ein wenig unheimlich war ihr dabei schon. Alles war so fremd, so unbekannt, so französisch. Niklas war jetzt mit diesem Jules beschäftigt. Hatte er da überhaupt noch Zeit für sie. Zindy seufzte scher.
Wie zur Antwort hörte sie von irgendwo her ein leises Schnarchen. Erschrocken sah Zindy sich um. Offensichtlich war sie nicht allein. Sie wagte nicht sich zu bewegen. Lediglich ihre Ohren arbeiteten auf Hochtouren und lokalisierten das Geräusch. Schräg von ihr und etwas höher. Weiter würde sie so allerdings nicht kommen und so setzte sie vorsichtig einen Fuß nach vorne. Als nichts geschah, schlich sie langsam weiter und lugte dabei ständig in alle Richtungen.
Das Geräusch kam eindeutig von dem großen Schreibtisch am Fenster. Der kleine Stoff-Orang-Utan erklomm ihn. Als erstes konnte sie Unordnung ausmachen. Bücher, Stifte und andere Dinge bildeten einen Berg auf der Tischplatte. Es gab einen einzelnen Schuh, eine leere Chipstüte und zuoberst lag ein zusammengeknüllter Pullover. Wie bei Niklas, schoss es Zindy durch den Kopf. So etwas war wohl international.
Dann stellte sie erstaunt fest, dass sich der Pullover sanft und gleichmäßig auf und ab bewegte. Sie machte einen weiteren Schritt und erkannte ein Stück eines Baguettes auf dem Pulli. Wer auch immer da schnarchte war wohl beim Essen eingeschlafen.
Sie wagte noch einen Schritt, erstarrte dann aber, denn der Pullover hatte sich eindeutig bewegt. Das Baguettestück rutschte, ein kleiner Arm erschien und tastete danach. Zindy wusste nicht, was sie tun sollte. So tat sie das Einzige, was ihr einfiel.
„I am a tourist“, brachte sie stammelnd hervor.
Die Umrisse eines Stofftieres – ihr selbst nicht unähnlich – begannen sich im Halbdunkel abzuzeichnen.
„Zindy?“ fragte eine ihr irgendwie bekannte Stimme. Das Stofftier bewegte sich und dann leuchtete die Schreibtischlampe auf.
Zindy kniff zweimal die Augen zusammen. Das Stofftier sah aus wie sie.
Und dann fiel ihr ein kleiner Stoff-Orang-Utan um den Hals, knuddelte und küsste sie und rief dabei „Zindy? Zindy? Oh, la, la. Bist du es wirklisch?“
„Yves?“ Zindy plumpste rücklings auf ihren Po.
„Wi.“ Sie wurde noch immer gedrückt. „Isch bin es“, sagte das Stofftier auf Deutsch mit starkem französischem Akzent. „Yves. Yves aus der Stofftierfabrik.“
Zindy kniff sich selbst in den Bauch, doch es gab keinen Zweifel. Vor ihr stand Yves. Yves, der sich damals in der Box der Stoff-Orang-Utans nichts sehnlicher gewünscht hatte, hatte es doch tatsächlich nach Paris geschafft. Dass die beiden Jungs die nächsten drei Stunden nicht in Jules Zimmer zurückkehrten, fiel den beiden Stofftieren nicht auf. Sie hatten einander so viel zu erzählen.
Als Niklas und Jules endlich zum Schlafen zurückkehrten schnarchten die beiden, das Stück Baguette zwischen sich, einträchtig, friedlich und erschöpft in die Ärmel des Pullis gewickelt. Und wie Jungs so waren, wunderte sich weder Niklas noch Jules darüber.
Der nächste Tag verlief für Zindy dann eher ruhig. Niklas verschwand mit Jules in der Schule und Yves zeigte ihr die Wohnung, erklärte ihr einige französische Sitten und Gebräuche und veranstaltete für sie ein Sonnenuntergangspicknick auf dem Hausdach mit Brötchen, Käse und Trauben. Aufregung gab es erst wieder am darauffolgenden Tag, dann aber mehr als allen lieb war.
Die Franzosen hatten für ihre Gäste eine Sightseeingtour durch Paris vorbereitet um ihnen die wichtigsten Sehenswürdigkeiten ihrer Stadt zu zeigen. Die beiden Jungs hatten sich vor Lachen gebogen als sie festgestellt hatten, dass sie sozusagen dasselbe Stofftier besaßen, auch wenn Zindy laut Niklas natürlich eindeutig die hübschere, mutigere und gewitztere war. Jetzt steckten sie Zindy und Yves in ihre Tagesrucksäcke, denn auch Jules heimlicher Schwarm Chloe würde an den Ausflug teilnehmen und die schleppte ihr Lieblingsstofftier überall mit hin.
Yves kannte Claude „le flamant“ schon. Der Stoffflamingo war in seinen Augen eine schillernde Persönlichkeit mit Stil und Modegeschmack. Nachdem Zindy Claude fünf Minuten kannte hielt sie ihn dagegen für einen albernen und eingebildeten rosa Vogel. Das behielt sie aber für sich.
Claude hatte es sich in Chloes Umhängetasche gemütlich gemacht. Immer wieder streckte er seinen Kopf heraus und quittierte die Modesünden aller Vorbeieilenden mit fassungslosem Kopfschütteln.
Zindy, die bereits zwei Kirchen und ein Museum, in dem das Bild einer Lisa hing, gesehen hatte, ließ das kalt. Sie beschloss ein kurzes Nickerchen zu halten und zog sich dazu ins Innere von Niklas Rucksack zurück. Sie war schon halb weggenickt als sie einen Aufschrei hörte. Eilig öffnete sie den Rucksack und sah hinaus.
Was Chloe schrie, verstand sie nicht. Aber ihre Gesten waren eindeutig. Im Vorbeifahren hatte ihr jemand die Tasche von der Schulter gerissen und war dann auf seinem Mofa geflüchtet. Zindy fand es gemein. Doch die ganze Tragweite des Diebstahls erfasste sie erst als sie in Yves Gesicht sah.
„Sie haben Claude entführt.“


Ende Teil 1


Lies gleich weiter: "Zindy in Paris, Teil 2"