Spätestens jeden zweiten Morgen hörte Zindy Kisha aus dem Bad seufzen.
„Wie sehe ich heute bloß wieder aus. Hier ist es schon wieder viel zu lang. Und diese Strähne macht auch, was sie will.“
Zindy äugte vorsichtig ins Badezimmer, wo Kisha wild an sich herumzupfte.
Kisha starrte sich genervt im Spiegel an. „Gerade gewaschen und trotzdem sieht es Kacke aus. Ich muss unbedingt zum Friseur.“ Dabei war sie erst vor fünf Wochen das letzte Mal dort gewesen.
Zindy verstand das nicht. Kisha sah doch toll aus. Die Haare hatten genau die richtige Länge, der Schnitt war frech und die Farbe war cool. Was ihr Mensch nur hatte?
Sie selbst hatte nie derartige Probleme. Ihr Fell saß so gut wie immer perfekt und wenn nicht, war das mit zwei, drei Handstrichen erledigt. Kisha aber kam ganz nach Mama Kathrin und Oma Charlotte. Die redeten auch dauernd von Friseurbesuchen. Sie diskutierten über Farbtafeln, Tönungen, Einwirkzeiten und den guten Kaffee im Salon. Zindy fand, daß sie sich das einmal ansehen sollte.
Gelegenheit dazu war schon drei Tage später.
Der Stammfriseursalon der Knirpsschen Damen war bei Jung und Alt gleichermaßen beliebt. Auch heute waren die Kunden wieder bunt gemischt. Als Kisha eintrat wurde bereits ein junger Mann, zwei Frauen um die vierzig, die ohne Punkt und Komma miteinander ratschten, und eine ältere Dame bedient. Zindy, die verstohlen aus Kishas Rucksack linste, glaubte sie von irgendwoher zu kennen.
Sie überlegte nur kurz. Richtig. Das war Daisy, eine von Oma Charlottes Freundinnen vom Kaffeeklatsch.
Kisha stellte ihren Rucksack auf die kleine Ablagefläche vor einem der Frisierplätze und wurde dann zum Waschen ihrer Haare an eines der Becken gebeten. Kaum war sie weg, prüfte Zindy die Lage, kletterte aus dem Rucksack und sah sich erst einmal um.
Momentan waren alle viel zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt als daß sie das kleine Stoff-Orang-Utan-Mädchen beachtete hätten. Zindy checkte das dreimal mit ihrem Röntgenrundumblick.
Der junge Mann wurde gerade am Hinterkopf rasiert. Die zwei Frauen befanden sich mitten in einer Diskussion um einen neuen Farbton. Anscheinend wollten beide heute etwas mutiger sein und ihre Männer überraschen. Während die eine zu einer halben Farbnuance dunkler tendierte, wollte es die andere wagen statt „aschblond“ „karamellblond“ zu versuchen. Oma Charlottes Freundin Daisy war da schon etwas weiter. Ihre Haare waren bereits gewaschen und die Farbe aufgetragen. Sie bekam noch rasch einen Kaffee und ein paar Kekse hingestellt, dazu zwei Zeitschriften gebracht und dann ging es für sie ab unter die Trockenhaube.
Jetzt erst stelle Zindy fest, daß sie vor einem der vielen großen Spiegel saß. Natürlich tat sie das, was fast alle in so einer Situation taten. Sie bewundere sich erst einmal ausgiebig von allen Seiten. Von hinten war das etwas schwierig, aber mit allerlei Verrenkungen schaffte sie auch das. Sie zupfte zwei nicht ganz perfekt liegende Härchen zurecht und überlegte dann, was sie weiter tun könnte. Kishas Kekse würden wahrscheinlich erst später serviert werden. Auf die brauchte sie daher noch nicht zu warten.
Sie könnte die Farbwahl der beiden Damen beeinflussen, indem sie ein paar Tuben und Tiegel vertauschte. Aber dann mussten nur deren Männer das Jammern ertragen.
Oder sie könnte nachsehen, was bei den Schönen und Reichen gerade so geschah?
Zindy fand dies eine hervorragende Idee. Sie wollte schließlich nachher Gerome etwas berichten können und oben auf der Trockenhaube war sie vor neugierigen Blicken sicher. Sie wartete einen passenden Moment ab und schwang die wenigen Meter hinüber, ohne daß jemand davon Notiz nahm.
Daisy hatte sich bereits für eine Zeitschrift entschieden. Auf dem Titelbild war eine wunderschöne Frau zu sehen, höchstwahrscheinlich eine Prinzessin, denn sie trug eine Krone im Haar.
Die ältere Dame blätterte um und gemeinsam studierten sie das Heft Seite für Seite. Daisy las auch die Artikel dazu, aber Zindy bewunderte nur die schönen Bilder. Für manche Seiten brauchte ihr Daisy deutlich zu lang, bei anderen war sie dagegen viel zu schnell fertig. Einen Bericht über Zindys Artgenossen hätte Daisy gar fast überblättert. Dann nahm sie sich aber glücklicherweise einen Keks und Zindy hatte etwas Zeit.
Den kleinen Keks wollte das kleine Stoff-Orang-Utan-Mädchen nicht probieren. Er roch nämlich etwas sonderbar. Zindy rümpfte die Nase. Dann bemerkte sie, daß der strenge Geruch gar nicht von dem Keks ausging. Er kam von woanders. Zindy schnupperte nochmals. Er kam aus der Trockenhaube unter ihr. Das musste sie näher untersuchen. Der kleine Stoff-Orang-Utan beugte sich ein wenig vor und dann sah sie es auch. Ein dünner Rauchfaden stieg aus dem Inneren des Gerätes auf.
Geruch, Rauch, Gefahr, schoss es Zindy durch den Kopf. Aus der Stofftierfabrik wusste sie, daß das nur eines bedeuten konnte: Feuer.
Sie sah noch einmal hin und entdeckte einen weiteren Rauchfaden. Zum Pusten war es längst zu spät. Lange würde es nicht mehr dauern bis das ganze Gerät brennen würde. Sie musste jetzt schnell sein.
Der Ausschaltknopf für die Trockenhaube befand sich an der Seite. Er war rot. Rot wie Gefahr. Zindy drückte mit Hand, Fuß, Kopf und Hinterteil, doch sie war zu schwach. Das Kabel aus der Steckdose zu ziehen brauchte sie gar nicht erst versuchen. Der Stecker war in irgendeinem Kabeldingsbums versteckt.
Jetzt konnte nur noch eines helfen: Irgendwie musste sie die Aufmerksamkeit der Menschen auf die Trockenhaube lenken.
Sie sah sich nach Kisha um, doch die war in ihr Handy vertieft.
Wasserhahn aufdrehen erschien Zindy eine gute Idee. Wasser war bei Feuer immer gut. Sie betätigte den Hebel bis zum Anschlag und ein kräftiger Strahl ergoss sich ins Waschbecken. Mehr geschah jedoch nicht. Niemand sah zum Becken und zwischen Radio, Geplapper und Föhn hörte es auch keiner. Sie brauchte etwas Auffälligeres. Zindy suchte leicht hektisch die Friseurutensilien um sich herum ab und fand ihre Waffe.
Lockenwickler.
Nicht zu schwer und in ausreichender Menge vorhanden.
Der kleine Stoff-Orang-Utan beschloss nicht zimperlich zu sein und schoss aus allen Rohren.
Der erste landete auf dem Boden.
Der zweite im Waschbecken.
Der dritte in einer Topfpflanze.
Aber der vierte traf sein Ziel und der fünfte und sechste auch.
Binnen Sekunden schlugen sie auf dem Unterarm einer Friseuse auf.
Die drehte sich um um den Übeltäter in seine Schranken zu weisen. Den entdeckte sie nicht. Dafür aber die inzwischen deutlich rauchende Trockenhaube.
Geistesgegenwärtig sprang sie auf und stieß die Haube beiseite. Das Kabel wurde herausgerissen und der Qualm mit ein paar Handtüchern erstickt.
„Ihnen ist doch nichts passiert, Frau Daisy?“ wurde Oma Charlottes Freundin bestimmt zehn Mal gefragt und jedes Mal gab es noch einen Keks oder ein Bonbon oder einen Kaffee für sie.
Die lachte nur. „Nein. Alles gut. Aber vielleicht hätte so ein Branding mir gestanden.“
Alle kümmerten sich nach der Aufregung um alle. Nur nach Zindy sah niemand und dabei hatte sie den größten Schaden genommen. Die heldenhafte Aktion der Angestellten hatte sie vom Rolltischchen mit den Lockenwicklern über das Waschbecken zu Boden stürzen lassen. Nicht, dass ihr etwas wehtat. Aber ihr linker Arm war ein wenig nass geworden und rühren durfte sie sich auch nicht. Stofftierregel.
Es dauerte eine Ewigkeit bis sie jemand fand. Es war das Lehrmädchen, das sie schließlich aufhob. „Oh. Ein Kind hat sein Stofftier vergessen“, sagte sie in den Salon hinein.
Kisha drehte sich wie alle um und sah einen Stoff-Orang-Utan mit einem Kettchen aus Bananen um den Fuß. Zindy. „Nee. Das ist meines. Das muss mir wohl aus dem Rucksack gefallen sein.“ Sie nahm Zindy in Empfang, wobei sie sich mal wieder fragte, wie die da hineingekommen war.
Kisha setzte Zindy auf die Ablage vor dem Spiegel. Dort stand inzwischen bereits ein Glas Saft und ein kleiner Teller mit Keksen.
„Ich glaube, es ist ein bisschen nass geworden“, sagte das Lehrmädchen und verschwand kur, aber lange genug, dass Zindy ein Biss in einen Schokoladenkeks gelang.
Schon war das Mädchen mit einem Föhn zurück. Es schaltete ihn auf die niedrigste Stufe und föhnte Zindy mit viel Liebe trocken.