Gerome hatte sich da viel schwerer getan. Der hatte an seinem ersten Fernsehabend verwirrt hinter den Fernseher geschaut, wo denn die kleinen Erdmännchen hingegangen waren, die gerade noch über den Bildschirm gehüpft waren.
Zindy hatte etwas gekichert. Ihr war das so nicht passiert. Sie hatte doch keine Erdmännchen gesucht. Nein, bei ihr waren es Wölfe gewesen. Wilde, gefährliche Wölfe und bei denen muss man schon aufpassen, daß die den Fernseher nicht verlassen. Das hatte sie Gerome aber nicht erzählt.
Kisha war erst vor kurzem von der Arbeit nach Hause gekommen. Die Fernbedienung lag bereits einsatzbereit auf dem Tisch und auch Zindy war startklar als Kisha von ihrer Mutter gerufen wurde. Offensichtlich gab es etwas Wichtiges zu besprechen und da dies um diese Zeit meist mit einem Abendessen verbunden war, war Zindy bestimmt eine weitere Stunde lang allein. Was lag da näher als ein wenig durchs Programm zu zappen. Zappen hatte Zindy gelernt bedeutete scheinbar sinnlos auf der Fernbedienung herum zu tippen und das konnte sie mindestens genauso gut wie Kisha oder Nina.
Der kleine Stoff-Orang-Utan wusste, daß ihr Fernseher Kisha heilig war und nicht jeder ihre Fernbedienung benutzen durfte, aber Zindy beschloss heute einmal eine Ausnahme zu machen. Was sollte schon passieren?
Geradezu ehrfürchtig strich sie erst einmal über das Gerät und überlegte dabei, welche der vielen Tasten sie zuerst drücken sollte. Es gab längliche, quadratische und runde davon, dazu etwa in der Mitte ein paar bunte und darüber eine ziemlich große runde Taste.
Zindy stöhnte auf. Eine dieser Tasten würde den Fernseher zum Leben erwecken und sie wusste dummerweise nicht welche. Bei Kisha hatte das immer so einfach ausgesehen. Jetzt aber gab es elf vier einundfünfzig Tasten und nur eine davon war die richtige.
Sie versuchte es mit den Tasten, die mit Zahlen markiert waren, den drei Pfeiltasten und schließlich der grünen – denn grün heißt ja auch an der Ampel „Gehen!“ - , doch nichts geschah. Dann drückte sie auch noch den verdrehten Pfeil und die Buchstabentasten. Nichts.
Zindy spürte wie Gerome sie von seinem Kissen aus aufmerksam beobachtete. Inzwischen war es ihr etwas peinlich, daß sie den Fernseher nicht anbekam. Gefühlt hatte sie doch schon jede Taste ausprobiert.
„Ordnung und Disziplin!“, schoss es ihr durch den Kopf. Vielleicht hatte das Schwein Was-auch-immer damals in der Stofftierfabrik doch Recht gehabt und sie sollte es der Reihe nach versuchen. Ganz oben links war eine rote Taste. Hatte sie die wirklich schon versucht? Zindy war sich da auf einmal nicht mehr ganz so sicher. Der kleine Stoff-Orang-Utan drückte sie und augenblicklich leuchtete der Bildschirm wie von Zauberhand auf.
„Oben links die rote“, sagte sie zu Gerome. „Falls du es mal brauchst.“ Dann wandte sie sich wieder dem Fernseher zu.
Der zeigte Buchstaben, Zahlen und Striche vor einem blauen Hintergrund. Zindy kannte das. Die würden bald verschwinden und stattdessen würde das aktuelle Programm irgendeines Senders zu sehen sein. Was das war, war für Zindy immer spannend. Sport, Nachrichten oder ein Film – man wusste es nie so genau.
Heute war es eine Frau. Eine Frau, die hinter einem albern übertrieben dekorierten Tisch saß. Auf dem Tisch befanden sich ein kitschiger Zierbrunnen, eine große Kerze, ein künstlicher Blumenstrauß und acht Engelsfiguren. Die Frau trug ein gedrehtes Haarband, einen farblich dazu passenden Umhang und mischte Karten. Sie erklärte dem kleinen Stoff-Orang-Utan, daß sie auf ihren Anruf warte um ihr alles über Liebe, Karriere und Gesundheit zu sagen. Zindy hatte daran aber keinen Bedarf. Gerome, Chefin, gut – die Fragen konnte sie sich selbst beantworten. Zu ihrem Glück wurde dann jemand anders durchgestellt und die hatte laut der Fernsehfrau wohl wirklich viele Probleme. Die Fernsehtante legte ein paar Karten auf den Tisch und konnte ihr dann toll weiterhelfen. Zindy verstand zwar nicht, warum ein Baum, der Mond und ein Pferd ihr verrieten, daß in zwei Monaten ein Mann in das Leben der Anruferin treten würde und ihre Rückenschmerzen bis dahin verschwunden sein würden. Aber die Frau war wohl glücklich damit und so zappte Zindy weiter.
Sie schaltete über zwei Kindersendungen, ein Tennismatch, einen Bericht über Zugvögel und irgendetwas mit einem Brautkleid und blieb als nächstes kurz bei einem Musiksender hängen. Der nette Sänger aus Oma Charlottes Fernseher war auch hier zu sehen. Der kleine Stoff-Orang-Utan tanzte ein Lied lang mit ihm. Dann hatte er anscheinend Pause, denn jetzt hüpfte eine Frau albern über den Bildschirm. Das Lied war auch nicht schön und so wechselte Zindy wieder den Sender.
Weder beim Kaffeeangebot des Monats noch bei den Klassikern der Volksmusik hielt sie sich lange auf und die Perlenkette, die sich alle dreißig Sekunden im Preis halbierte, fand Zindy gar nicht schön. Auch über den nächsten Sender war sie schon drüber, drückte dann aber noch einmal zurück.
Ein aalglatter Mann und eine völlig zugekleisterte Frau warben für eine ganze Serie von Schönheitsprodukten. Es gab Cremes und Lotionen und Masken und natürlich auch Kapseln. Jedes einzelne dieser Produkte – versprachen die beiden – machte einen um Jahre jünger. Aber nur die gesamte Kollektion erzielte absolut hervorragende Ergebnisse. Schließlich bekam man nur dann die volle Menge an Hyaluron oder Mizellen oder Algenextrakt oder Fettlöser oder so.
Zindy betrachtete sich den Mann und vor allem die Frau ganz genau. Wenn ihre Gesichter die Wirksamkeit zeigen sollte, konnte sie gut und gerne auf die ganzen Pampen und Pillen verzichten. Er hatte ungepflegtes Gestrüpp im Gesicht und ihres war so glattgezogen, dass man nicht mehr erkennen konnte, ob sie lachte, weinte oder böse war. Zwei Bananen in Scheiben geschnitten, eine aufs Gesicht und eine in den Magen erschienen ihr viel, viel sinnvoller.
Ein Geräusch von der Tür schreckte sie auf. Schnell drückte der kleine Stoff-Orang-Utan auf die Ausschalttaste und schmiss sich neben den schnarchenden Gerome auf Sofa, wo sie ihr unschuldigstes Gesicht aufsetzte.
Hoffentlich merkte Kisha nicht, dass der Fernseher eingeschaltet gewesen war. Zindy bereute es fast, dass sie es getan hatte. Kisha war dann bestimmt sehr ärgerlich und so spannend wie mit ihr war es gerade auch nicht gewesen. Bei Kisha kam nämlich anscheinend immer genau das, was diese sehen wollte. Spannende Filme, Komödien oder Berichte über `Merika – nur bei ihr lief so ein Quatsch. Und außerdem gab es bei der auch meist etwas zu Knabbern.