Wenn sich Zindy manchmal langweilte, dachte sie schon mal an die Stofftierfabrik zurück. Damals hatte sie es dort doof gefunden, aber inzwischen war sie der Ansicht, dass es doch oft auch ganz nett gewesen war. Zumindest war dort meistens etwas los gewesen. Tiere waren gegangen und andere dafür gekommen. In irgendeiner Box war immer etwas passiert und das Schwein Was-auch-immer hatte jeden Tag eine neue Regel oder eine Aufgabe für alle gehabt. Und obwohl es immer besonders streng zu den Affen und dabei ganz besonders streng zu diesem frechen Orang-Utan-Mädchen gewesen war, glaube Zindy, dass Was-auch-immer sie gemocht hatte. Denn egal, was sie auch angestellt hatte, nach einem großen Donnerwetter war das Schwein meistens grimmig davongetrampelt und hatte dabei etwas wie „Unmöglich“, „Unerhört“ und „Unbelehrbar“ vor sich hin gemurmelt. Heimlich jedoch hatte es in sich hineingegrinst. Diese Zindy war vielleicht vorlaut und ein wenig verrückt. Aber sie hatte Mut, hatte das Herz auf dem rechten Fleck und war richtig witzig. Und vor allem war sie nicht so duckmäuserig wie die anderen Stofftiere. Es war ein später Nachmittag in der Stofftierfabrik gewesen. Drüben bei den Näherinnen nahte der Feierabend. Noch ein letztes Stofftier wurde liebevoll mit ein paar Zusatznähten versehen und dann zur finalen Prüfung auf den Tisch gesetzt. Erst wenn es die mütterlich kritischen Augen der Näherin für gut befunden hatten, durfte es der Lagermitarbeiter in den Nebenraum zu seinen Artgenossen befördern, wo der es dann deutlich grober in die richtige Box warf. An ganz schlechten Tagen landete ein Einhorn dabei schon mal bei den Krokodilen oder – was noch schlimmer war – erst am Gitterrand und dann auf dem Boden. Von dort durfte es sich selbst aufrappeln und in seine Box klettern. Zindy war gerade von einem ausgiebigen Schläfchen erwacht. Sie schob Xantis Popo von ihrem Gesicht und gähnte lange und ausgiebig. Um sie herum war es ruhig. Sie hatte folglich nichts versäumt. Der kleine Stoff-Orang-Utan schmatzte kurz und sah sich um. Die meisten ihrer Boxgenossen dösten. Wer konnte versuchte dabei noch einen der letzten Sonnenstrahlen des Tages zu erwischen. Wobei natürlich die Ältesten unter den Orang-Utans die jüngeren gnadenlos nach unten drückten. Sie seine schließlich schon länger hier und hätten von daher die älteren Rechte auf einen Platz an der Sonne. Zindy war das egal. Sie drückte sich gnadenlos an den motzenden Affen vorbei nach oben und sondierte dort die Lage vom Gitterrand der Box. Der letzte Lagerarbeiter schlurfte gerade durch die Schwingtür nach draußen. Durch den weit offenen Spalt sah der kleine Stoff-Orang-Utan wie ihre Näherin ein letztes Stück Stoff zusammenlegte-Danach würde sie sich auf den Weg nach Hause machen, wo sie bestimmt eine große Familie freudig erwartete. Obwohl die Tür sich bereits wieder geschlossen hatte, blickte Zindy ihr lächelnd hinterher. Die Frau mit den gütigen Augen und den warmen weichen Händen war der erste Mensch, den sie gesehen hatte. Sie hatte Zindy mit so viel Liebe und Begeisterung genäht. Das würde der kleine Stoff-Orang-Utan nie vergessen. Weil aber Gedanken das eine und Taten das andere waren, beschloss Zindy spontan der Frau eine Freude zu machen. Nur wie? Sie überlegte hin und her ohne eine zündende Idee zu haben. Vielleicht fiel ihr ja etwas ein, wenn sie sich den Arbeitsplatz der Frau von nahem betrachtete. Kurz entschlossen hüpfte sie auf den Boden hinunter und eilte zu der Schwingtür hinüber. Unter den teils genervten, teils belustigten Augen verschiedenster Stofftiere mühte sich der kleine Stoff-Orang-Utan ab die Türe in Bewegung zu bringen um in den angrenzenden Nähraum hinüberschlüpfen zu können. „Gafft nicht!“ schimpfte sie zu ihnen. „Helft mir lieber!“ Zunächst bewegte sich keiner. Dann aber landeten Yves und Xanti mit einem Salto neben ihr und auch ein Büffel, der aber behauptete versehentlich aus der Box gefallen zu sein. Einerlei, nun da schon einmal drei Mitstreiter da waren, gesellten sich noch drei Löwen, ein Huhn und zwei Bären dazu und gemeinsam schoben sie eine der Schwingtüren so weit auf, dass sich Zindy hindurchzwängen konnte. Während Zindy auf Zehenspitzen weiter in den Raum hineinschritt, hasteten die anderen zwei Meter weiter, erklommen einen Tisch und spähten von dort durch ein kleines Fenster um zu sehen, was Zindy weiter unternehmen würde. Zindy war erste ein einziges Mal in dem Raum gewesen, damals als die nette Näherin sie in diese Welt gebracht hatte. Er war eher nüchtern und praktisch eingerichtet. Tische standen in drei Reihen hintereinander, auf jedem eine Nähmaschine, dazu Arbeitsutensilien wie Garn, Schere und Stoff. Schnittmusterbögen, ein Block und ein Stift kamen dazu sowie ein Drehstuhl. An manchen Plätzen stand noch eine Kaffeetasse oder ein Bild. Die Dekoration in dem Raum bestand aus einem schief hängenden Bild und ein paar blühenden Blumentöpfen auf den Fensterbrettern. Da das kleine Stoff-Orang-Utan-Mädchen nichts weiter entdeckte, entschied sie von den hellblauen Blumen eine für ihre Näherin zu pflücken. Die Pflanze zu erreichen war für sie einfach. Dann aber begannen ihre Probleme. Sie zog vorsichtig mit einer Hand an der Blume, die sich partout nicht von den anderen trennen wollte. Sie nahm auch die zweite Hand zu Hilfe, doch das Ergebnis änderte sich nicht. Schließlich stemmte sie sich zusätzlich mit beiden Füßen gegen den Topf. Zindy glaubte zu fühlen wie sich etwas leicht bewegte. Um noch mehr Kraft zu haben hängte sie sich schräg rein. Das erwies sich jedoch als Fehler. Der Topf hob an der gegenüberliegenden Seite ab und kippte dann mitsamt dem kleinen Stoff-Orang-Utan um. Zindy rettete sich instinktiv aufs Fensterbrett. Der Topf aber viel auf den Fußboden hinunter, wo er mit einem lauten Klirren zerbrach. Zindy erschrak fürchterlich und flüchtete rasch hinter den nächststehenden Blumentopf. Dort verharrte sie für ein paar Augenblicke bis sie meinte, dass die Luft rein war. Sie wollte sich den Schaden gerade ansehen als sie aus dem Augenwinkel bemerkte wie die Stofftiere hinter dem kleinen Fenster wild zu wedeln begannen und dabei nach rechts deuteten. Zindy folgte ihren Fingern, Armen und Füßen und sah ihn gerade noch rechtzeitig. Dort befand sich die eigentliche Eingangstür und von der schlurfte der alte Wachmann herbei, eine Taschenlampe in der einen, eine aufgerissene Packung Schokoriegel in der anderen Hand. Der Schein der Taschenlampe glitt suchend durch den Raum über Tische, Stühle, Fenster und glücklicherweise auch über Zindy hinweg bis er schließlich den Boden erreichte. Das Malheur dort war nicht zu übersehen. Er sah die Scherben des Blumentopfs, dazu etwas Erde und eine traurige Pflanze. „Blöde Katze“, murmelte er und legte Taschenlampe und Schokoriegelpackung auf den nächsten Tisch. Dann ging er zu einem Schrank, dem er Schaufel und Besen entnahm. Zindy schaltete blitzschnell und nutzte die wenigen Sekunden um sich aus dem Staub zu machen. Im Vorbeiflitzen stibitzte sie noch einen Schokoriegel und platzierte ihn mitten auf dem Tisch ihrer Lieblingsnäherin. Kurz darauf auf der sicheren Seite im Lagerraum sah sie nochmals durch das Fenster zurück. Der Wachmann war inzwischen mit dem Kehren fertig und saß wahrscheinlich wieder leicht dösend vor dem Fernseher in seinem Zimmer. Auf dem Arbeitstisch der Näherin glitzerte gut sichtbar das Goldpapier des Schokoriegels im Mondlicht. Die Frau würde zwar nie erfahren, wer den Riegel dort hingelegt hatte. Aber das war dem kleinen Stoff-Orang-Utan eigentlich egal. Sie wusste es ja.