„Auf unser Familientreffen muss der Affe aber nicht auch noch mit“, hatte Mama Kathrin protestiert Vergeblich, denn natürlich war der kleine Stoff-Orang-Utan dabei als sich die Knirpse, Malme und wie sie sonst noch hießen zu einem gemeinsamen Grillfest trafen. Manche wohnten nah beieinander, aber ein paar kamen immer von so weit her, dass sie in einer Pension übernachteten. Und wer da nicht alles erschien. Zindy hatte gar nicht gewusst, dass Kisha so viele Verwandte hatte. Bisher hatten die Knirpse die immer gut vor ihr versteckt. Jetzt erst erfuhr sie, dass Mama Kathrin und Papa Daniel und selbst Oma Charlotte Geschwister hatten und die hatten alle weitere Familien gegründet. Ja, es gab sogar noch eine Urgroßmutter, kurz Uri genannt. Uri war Oma Charlottes Mama. Sie war körperlich nicht mehr ganz so fit, aber immer lustig drauf. Dann waren da Onkel und Tanten, große Großtanten und kleine Großtanten, Cousins und Cousinen, Nichten und Neffen und frisch verliebte Neuzugänge, die natürlich auch kommen durften. Kurzum ein richtiges Gewusel. Angefangen hatte das Ganze vor vielleicht zehn Jahren als alle auf einer Hochzeit festgestellt hatten, dass man sich eigentlich neben Taufen und Beerdigungen nur hierbei traf und das doch sehr schade sei. Damit war die Idee geboren und inzwischen kamen vier Generationen aus sieben Bundesländern einmal im Jahr zusammen und wer keine Zeit hatte, musste sich schon eine gute Ausrede einfallen lassen. Sonst war Uri zutiefst beleidigt. Dieses Jahr nun fanden sich alle eine gute Fahrstunde vom Haus der Knirpse entfernt bei irgendeinem Onkel Fritz ein. Der hatte von seinem Ruderclub das an einem See gelegene Vereinsgelände für den Tag gemietet. So war für alle ausreichend Platz. Wie bereits erwähnt hatte Mama Kathrins Protest nichts genutzt. Zindy war neben Badeanzug, Handtuch, Decke und Sonnencreme wie selbstverständlich in Kishas Badetasche gelandet. Darin hatte sie dann die ganze Fahrt über gesessen. Nach der Ankunft dann hatte sich Kisha die Tasche über die Schulter gehängt und während sie jedes Familienmitglied einzeln begrüßte, spitzelte das kleine Stoff-Orang-Utan-Mädchen neugierig über den Rand und studierte einen nach dem anderen. Leicht war das nicht, wo es doch so viele waren und alle laut durcheinander riefen. Zindy beschloss sich nur die für sie wichtigsten zu merken und den Rest in da, auch da und kann das nächste Mal wegbleiben einzuteilen. Zu der ersten Gruppe gehörte ohne Zweifel Kishas Großtante Edeltraud. Tante Traudl war nicht nur die jüngere Schwester von Oma Charlotte, sondern auch noch Kishas Patentante. Allerdings war sie seit sie in Rente war nur noch unterwegs. „Sie hat kein Zuhause“, pflegte Mama Kathrin immer zu sagen, was natürlich nicht stimmte. Sie war nur sehr viel auf Reisen und dabei war ihr kein Ziel zu weit. „Sie ist eine verrückte Nudel“, flüsterte Kisha Zindy zu, „und die beste Patentante der Welt. Von ihr habe ich noch nie langweilige Geschenke oder doofe Ratschläge bekommen. Ich stelle dich ihr später vor.“ Zur letzten Gruppe zählten dagegen zwei Jungen im Grundschulalter. Sie waren die Kinder irgendeiner Großtante, die ziemlich esoterisch angehaucht war. Kein Wunder, dass die beiden Knaben Trent-Marvin und Tyler-Marlon hießen und so wie ihre Namen waren auch sie. Nämlich doof. Siemischten sich mit altklugen Kommentaren in die Gespräche der Erwachsenen ein. Sie begrapschten das Essen bis ihnen Uri ein paar auf die Finger gab. Und sie nahmen ohne zu fragen die Spielsachen der anderen Kinder bis sie ihrer überdrüssig wurden. Dann warfen sie sie einfach da, wo sie gerade waren, auf den Boden. Ob die dabei Schaden nahmen, war ihnen absolut egal. Zindy fand das unmöglich bis, ja bis sie sich eine Barbiepuppe schnappten. An der zerrten sie so lange bis sie ihr ein Bein ausrissen, worauf deren Besitzerin zu weinen anfing. Ärger bekamen sie dennoch nicht. Esoterik- Mami sagte nur, dass Jungs eben so seien und man das Bein schon irgendwie ankleben können würde. Außerdem sei dieses Plastikspielzeug für die Entwicklung eines Kindes ohnehin schädlich. Dann aber entdeckten die beiden Zindy, die über dem Taschenrand hing, und ab da war der kleine Stoff-Orang-Utan panisch. Wenn die beiden schon so gemein zu einer leblosen Puppe waren, was würden sie dann erst ihr antun? Die beiden waren schon zu nahe als dass sie sich noch vor ihnen verstecken konnte und ihre Knirpse waren alle anderweitig beschäftigt. Trent-Marvin oder Tyler-Marlon zog sie mit spitzen Fingern aus der Tasche. „Was haben wir denn da?“ fragte er seinen Bruder. „Ein albernes Stoffäffchen“; sagte Tyler-Marlon oder Trent-Marvin. „Ob es wohlschwimmen kann?“ „Das wissen wir gleich“, kam es zurück. „Wir müssen nur zum See.“ See? Zindy hätte beinahe laut losgeschrien. Hilfe! Hilfe Rettet mich! Kisha? Niklas? Irgendwer. Doch der eine der Brüder schleuderte sie so wild durch die Gegend, dass sie nicht einmal mehr das konnte. Marlon-Tyler warf sie zu Trent-Marvin, der sie ungeschickt auffing. Mehrmals flog sie so zwischen den beiden hin und her und das Wasser kam immer näher und näher. Eben zwei Sekunden durchgeatmet und schon wieder flog sie nach fünfmaligem Schleudern durch die Luft. Dieses Mal jedoch landete sie in einer anderen Hand. In einer kräftigen, aber weichen Hand. „Hey, wer nimmt uns unser Spielzeug weg?“ riefen Marlon-Marvin und Tyler-Trent im Chor. „Euer Spielzeug?“ fragte eine freundliche Stimme unter Zindy. Sie selbst saß nämlich auf einer Hand, die die Frau, der die Stimme gehörte, hoch über ihren Kopf hielt. „Seid ihr euch da sicher?“ „Hey, das ist mein Stofftier! Was macht ihr damit? Eine Zindy vertraute Gestalt rannte eilig herbei. „Wer hat euch erlaubt, es zu nehmen?“ „Das ist unseres“, logen die beiden Jungs unverfroren. „So jemand altes wie du hat keine Stofftiere mehr.“ Dieser Satz brachte die Frau unter Zindy auf die Palme. „Und was bin ich dann? Tot?“ Sie packte einer der Jungen am Ohr. „Wie heißt das Stofftier denn dann?“ „Ko, Ko, Koko“, jammerte der und wurde dabei rot im Gesicht. „Ihr Name ist Zindy“, sagte die vertraute Gestalt, die inzwischen neben der Frau stand. Die Frau ließ daraufhin den Jungen los. Der lief schnell ein paar Meter von ihr weg zu seinem Bruder. "Das sagen wir unserer Mami!“ drohten sie. Die Frau lachte nur. „Wie? Der Eso-Tante? Die soll nur kommen. Dann rücke ich ihr Universum mal wieder zurecht.“ Damit hatten Marvin-Marlon und Trent-Tyler wohl nicht gerechnet. Ziemlich perplex zogen sie von dannen und machten für den Rest des Tages einen großen Bogen um die Frau, die sich, sobald sie einen der beiden sah, kichernd ans Ohr fasste. „Danke, Tante Traudl!“ umarmte Kisha ihre Patentante. „Du hast Zindys Leben gerettet.“ Die grinste. „Ich habe das Äffchen doch gleich erkannt, von dem Charlottchen schon so viel erzählt hat. Und den Knaben hat eine Ansage nicht geschadet.“ Sie gab Zindy an Kisha weiter. Die untersuchte das kleine Stoff-Orang-Utan-Mädchen sorgsam von Kopf bis Fuß, fand aber glücklicherweise nichts. Sie überlegte kurz und hielt es dann wieder ihrer Tante hin. „Vielleicht willst du ja noch ein wenig auf sie aufpassen? Sie ist eine gute Zuhörerin, meine Zindy, und kann ein Geheimnis für sich bewahren. Ach ja, und sie isst fast alles.“ Damit landete Zindy für die nächsten Stunden bei Tante Traudl, die sie bestens mit Essen und Tratsch versorgte. Die Jungs hielten sich ebenso wie ihre Mutter von ihnen fern. Man wusste ja nie, was der verrückten Alten sonst noch alles einfiel. Zindy war jetzt sicher. Aber sie musste sich eingestehen, dass Mama Kathrin dieses Mal recht gehabt hatte. Wenn Tante Traudl zu Besuch kommen sollte, war sie gerne dabei. Aber auf große Knirpssche Familientreffen konnte sie ihn Zukunft verzichten.