Vor, zurück. Vor, zurück. Vor, zurück.
Das mit den Wellen hatte Zindy sich aber ganz anders vorgestellt, obwohl sie sie schon öfters im Fernsehen gesehen hatte. In echt war es aber noch viel aufregender.
Sie überließ es daher jetzt lieber Kisha und Niklas sich das Spektakel aus der Nähe anzusehen und sich wahlweise Zehen, Knie oder noch mehr nass spritzen zu lassen. Ihr kurzer Ausflug von vor zehn Minuten hinten in Kishas Rucksack ans Wasser hatte ihr voll genügt. Fünf Wassertropfen waren direkt von unten nach oben auf ihr Fell gespritzt und das hatte ihr gar nicht gefallen. Wasser war ihr nämlich seit ihrem ungewollten Ausflug in den Knirpsschen Pool vor ein paar Jahren unheimlich und wenn es wie hier auch noch salzig schmeckte gleich doppelt. Vor allem, wenn man das zwar gewusst, aber irgendwie vergessen hatte. Pfui, war das eklig. Fast hätte sie den Tropfen, den sie von ihrem Fell abgeleckt hatte, in Kishas Rucksack gespuckt.
Nein, das Meer war wunderschön. Vorausgesetzt man saß dreißig Meter davon entfernt auf einer Decke und konnte von dort aus alles beobachten. Am besten noch mit einem Keks in der Hand, der irgendwie sandig schmeckte. Dabei hatte sie ihn doch gar nicht fallen lassen. Der kleine Stoff-Orang-Utan überprüfte ihn gewissenhaft. Ja, er wies einige Sandkörner auf. Und der Sand hatte sich nicht nur dorthin geschlichen, stellte sie erstaunt fest. Er war eigentlich überall um sie herum: Auf Kishas Schuhen, auf Niklas Pulli und sogar in ihrem Fell. Na toll. Das hieß heute Abend mindestens zwei Extrastunden Fellpflege.
Seit gestern war sie nun mit Kishas Familie für ein verlängertes Wochenende an der Ostsee. Mama Kathrin war zu irgendeinem fürchterlich wichtigen Apothekerkongress eingeladen worden und hatte kurzerhand die gesamte Familie mitgeschleppt. Während ihre Eltern sich gerade bei Vorträgen langweilten, besuchte die Jugend das Meer, das nur ein paar Minuten von ihrem Hotel entfernt lag.
Kisha und Niklas schienen noch lange nicht genug von Sand und Wellen zu haben. Aber Zindy reichte es mittlerweile. Sie schüttelte sich kurz und klopfte sich dabei einen Teil des Sands aus dem Fell. Dann hüpfte sie über den Holzsteg und sah sich nach etwas Interessantem um. Kisha und Niklas konnte sie ja später wieder im Hotel treffen.
Auf der einen Seite erstreckte sich die Ostsee soweit man sehen konnte. Auf der anderen ging es zum Hotel. Links lag der Hafen mit seinen vielen Fischkuttern, Kisha und Niklas wollten später mit einem davon hinausfahren. Zindy verzichtete dagegen gerne darauf. Allein wenn sie an das Geschaukel dachte, wurde ihr schon übel. Außerdem hatte sie auf der anderen Seite etwas viel Tolleres entdeckt.
Es war ein schlanker hoher Turm, abwechselnd weiß und rot gestrichen. Niklas hatte ihn einen Leuchtturm genannt, was Zindy im Augenblick für Quatsch hielt. Schließlich leuchtete er ja gar nicht. In ihren Augen war er eher ein Kletterturm. Das einzige Problem war wohl, wie sie hin- und zurückgelangen konnte. Drei Mal fünfzig acht dreiundvierzig Meter waren doch etwas weit.
In einem Strandkorb neben dem Weg entdeckte sie eine kleine Stoff-Seemöwe. Zindy versuchte eine erste Kontaktaufnahme mittels Winken.
„Moin Moin“, kam es zurück.
Wie? Morgen? Der kleine Stoff-Orang-Utan verstand nur Bahnhof. Dabei waren sie doch immer noch in Deutschland. Sie antwortete mit einem freundlichen „Sänk ju. I am a tourist", und suchte nach Alternativen.
„Auf zum Leuchtturm!“ rief eine fröhliche Männergruppe hinter ihr. Die marschierten gerade auf der Strandpromenade auf sie zu, drei Bollerwagen mit festem und vor allem flüssigen Proviant im Schlepptau.
Zindy sprang flugs hinten auf einen der Wagen und ließ sich so bequem zu ihrem Ziel ziehen.
Am Leuchtturm angekommen genehmigten sich die Männer erst einmal ein Bierchen. Ihre Führung begann schließlich erst in zehn Minuten und irgendwie musste man ja die Zeit bis dahin überbrücken. Und da war eine Stärkung von innen nie falsch.
Zindy war die Stärkung nicht wichtig. Sie überlegte längst wie sie unbemerkt die Spitze des Leuchtturms erreichen konnte. Die Treppen waren hoch und dadurch recht mühsam. Die Spitze von außen zu erklimmen war auch nicht einfacher. Der Putz war so gleichmäßig glatt aufgetragen worden, dass es keine Möglichkeiten zum Halten bot. Der kleine Stoff-Orang-Utan wollte sich schon beinahe resigniert ins Gras fallen lassen als eine Frau in der Eingangstür zum Leuchtturm erschien.
„Moin Moin, Männer!“ begrüßte sie die Männergruppe. „Na, dann wollen wir mal hoch! Ich bin ihre Leuchtturmführerin.“
Von direkt über ihnen erschallte ein Rufen. Alle sahen hoch.
Auf der Plattform des Leuchtturms war eine weitere Frau zu sehen. Mittels einer Handseilwinde ließ sie einen großen Korb herunter.
„Das ist die Art meiner Mutter zwei von Euren Bieren zu bestellen“, lachte ihre Führerin.
Brav folgten die Männer der Aufforderung und legten das Gewünschte in den Korb. Als Zugabe gab es sogar noch zwei Wurstsemmel. Dann machten sie sich fröhlich keuchend und stöhnend hinter ihrer Führerin her an den Aufstieg.
Die Frau oben begann zu kurbeln. Zindy schaffte es gerade noch im allerletzten Moment den Henkel des Korbs zu ergreifen und sich hinein zu schwingen. Dann entfernte sich der Boden immer weiter und sie entschwebte sanft nach oben.
Nach dreißig Sekunden hatte sie die Männer überholt. Keine Minute später wurde der Korb oben über die Brüstung gehoben.
„Männer können so kindisch sein“, sagte die Frau als sie Zindy zwischen den Semmeln und den Getränken entdeckte und setzte sieordentlich neben eine Schautafel auf einen Tisch. Der Korb kam daneben.
„Die Herren sind wohl echte Scherzkekse“, empfing sie bald darauf die Gruppe, die natürlich steif und fest behauptete von nichts zu wissen. Schon gar nicht von einem orangenen Stoffaffen.
Zindy selbst war das völlig egal. Ihr genügte, dass sie von hier oben fast bis nach Hause sehen konnte. Oder nach Paris. Oder nach Berlin. Oder zumindest bis zu ihrem Hotel.
Die beiden Frauen erzählten inzwischen von der Geschichte und der Bedeutung des Leuchtturms. Die technischen Details waren dem kleinen Stoff-Orang-Utan dabei egal. Aber die Sache mit dem Leuchtfeuer fand sie cool. Früher hatte der Leuchtturmwärter alles von Hand regeln müssen. Heute jedoch wurde das alles über eine Steuerung geschaltet.
„Wenn wir diesen Hebel umlegen, leuchtet das Leuchtfeuer heute Nacht gegen 22.00 Uhr für eine Stunde rosa“, wurde der Männergruppe und Zindy erklärt, „aber das wollen wir nur an besonderen Tagen wie dem Muttertag. Interessanter dürfte für Euch das Zusammenspiel von Linsen und Spiegeln sein. Das findet sich im Nebenraum.“
Die Männer folgten den Frauen dorthin. Lediglich Zindy blieb noch einen Moment zurück. Sie betrachtete den Hebel und haderte kurz mit sich.
Ja oder Nein?
Schließlich siegten ihre Neugierde und ihre Frechheit. Sie erledigte, was zu erledigen war und machte sich dann an den Abstieg. Runter waren die Treppenstufen nämlich kein Problem.
Die lustige Männergruppe holte Zindy auf den letzten Stufen beinahe noch ein. Dem kleinen Stoff-Orang-Utan gelang es gerade noch rechtzeitig sich in einem der Bollerwagen zu verstecken. Dann ging es auch schon wieder zurück.
Kisha und Niklas waren zu Zindys Erleichterung immer noch am Strand. So brauchte sie nur in den Rucksack umzusteigen und so zu schauen als ob sie nie weg gewesen wäre.
„Hast du eigentlich gewusst, dass Leuchttürme auch rosa strahlen können?“ fragte Kisha ihre Mutter verwundert als sie am späten Abend aus ihrem Hotelzimmer aufs Meer hinaus schaute.
Nun, Mama Kathrin nicht.
Aber Zindy schon.