Zindy forever
Die  Seite für Freunde von Zindy & ihren Geschichten und alle, die Stofftiere lieben
 
 
 

Zindy kocht chinesisch


 

„Glück gehabt“, flüsterte Kisha ihrer Freundin Nina zu als sie sich auf die letzten beiden freien Stühle ganz hinten in dem Raum drückten. „Gerade noch rechtzeitig.“
Die nickte und versuchte dabei ihre Atmung wieder in den Griff zu bekommen während sie so leise wie ihr möglich ihre Tasche auf den Tisch legte. Erst vor ein paar Tagen hatten die beiden entdeckt, dass die städtische Volkshochschule heute Abend genau den Kurs anbot, denn sie schon lange besuchen wollten. Aber immer war etwas dazwischen gekommen und jetzt hätte es beinahe auch nicht mehr geklappt, denn sie hatten vor lauter Quatschen den richtigen Bus verpasst. Deshalb waren sie von der Haltestelle aus auch gerannt um es noch annähernd pünktlich zu schaffen. Wenigstens war ihr Arbeitstisch ganz hinten. Das ersparte ihnen das Spießrutenlaufen an den anderen vorbei.
„Nun, da auch die letzten beiden Teilnehmerinnen eingetroffen sind“, begann vorne am Pult eine missmutig dreinblickende Dame, „können wir ja unseren Kochabend starten. Frau Wang hier“, deutete sie auf die Frau, die neben ihr stand, „wird uns kurz in die Grundlagen der chinesischen Küche einführen und dann heißt es ran an Wok und Töpfe. Ich gehe davon aus, dass sie alles mitgebracht haben, was in der Kursbeschreibung stand.“
Wie die anderen an den Tischen vor ihnen nickten Kisha und Nina brav und holten Schürze, Geschirrtuch, Notizblock und Stift heraus. Anscheinend hatten alle alles dabei, was die Laune der Frau deutlich verbesserte. Sie war wohl eine ganz wichtige in der Volkshochschule. Die nämlich gab diesen Kurs und die wichtige Frau würde Frau Wang zur Hand gehen.
„Heute bereiten wir wahlweise Schweinefleisch süß-sauer oder Huhn mit acht Köstlichkeiten zu, dazu Frühlingsrollen, deren Teig Frau Wang schon gestern für uns gemacht hat. Na, dann lassen Sie uns mal loslegen!“
Jetzt durfte endlich Frau Wang etwas sagen. Bevor es mit dem eigentlichen Kochen losging, erklärte sie lang und ausführlich worauf die Teilnehmer beim Zubereiten achten sollten. Kisha und Nina schrieben eifrig mit. Sie hatten sich bereits vorab für das süß-saure Gericht entschieden und brannten nun darauf loszulegen. Als dann endlich der praktische Teil begann, entrollte Kisha ihre schürze. Ein kleines oranges Stofftier fiel zu ihrer Überraschung aus ihr heraus.
„Zindy“, staunte Kisha. „Wie kommst du denn da rein?“
Die verstand die Frage nicht. Wie war doch wohl klar. Sie hatte sich selbst darin eingewickelt. Das warum war viel wichtiger und genauso simpel zu beantworten: Weil sie schlicht und ergreifend Hunger hatte.
„Setz sie auf dein Mäppchen“, schlug Nina vor als sei die Anwesenheit des kleinen Stoff-Orang-Utans das Normalste von der Welt. „Da stört sie nicht und sie sieht doch alles.“
Gesagt. Getan- Zindy wurde vorsichtig platziert und dann ging es endlich richtig los. Man stürzte sich auf den Tisch mit den  Zutaten. Zurück am eigenen Platz wurde überall gewogen, geputzt und geschnitten ehe es an den Wok (ein chinesisches Pfannenkochtopfdings wie Zindy fachmännisch feststellte) ging.
Während die Köchinnen und Köche an den anderen Tischen sich sehr streng an das Rezept hielten, ließen Kisha und Nina ihrer Kreativität freien Lauf und änderten das eine oder andere etwas ab. Als mit Abstand Jüngste in dem Raum nahmen sie es mit dem Rezept nicht so ganz genau. Irgendwie war es mehr ein grober Leitfaden denn eine exakt zu befolgende Anweisung für sie.
Zindy war der Ansicht, dass den Älteren etwas mehr Spontanität auch gut stehen würde. Vor allem die VHS-Dame wirkte doch ziemlich verbissen. Vielleicht lag das aber auch daran, dass sie schon zweimal telefoniert hatte. Ihr Sohn machte zu Hause wegen seines Schlafanzugs Theater und Zindy hegte den Verdacht, dass sie den Jungen kannte.
„Die Jugend weiß mal wieder alles besser“, meinte die Frau dann auch als sie bei Kisha und Nina vorbeischaute. „Schlafanzug. Rezept. Es ist immer das Gleiche. Aber wenn die Damen meinen. Bitte sehr.“
Zindy fand das ziemlich doof und gemein. Die beiden Gerichte waren in ihren Augen doch eher anspruchslos und deshalb verließ sie ihren Platz auf dem Mäppchen, schwang sich über die Deckenbeleuchtung von Tisch zu Tisch und begann die Gerichte der anderen ein wenig aufzupäppeln. Und da sie um die geschmacksverändernde Wirkung mancher Zutaten wusste, probierte sie brav vorher die Gewürze, die dann aus Versehen in den Kochtöpfen und Pfannen landen sollten.
Bei Koriander, Zitronengras und Sesamsamen war das auch kein Problem. Als sie aber inbrünstig an einen frisch abgeschnittenen Stück Ingwer lutschte, passierte es.
Ihre Zunge kam heraus, ihre Augen quollen hervor und sie hüpfte quer über drei Tische zu dem großen Seitentisch, auf dem alle übriggebliebenen Zutaten fein säuberlich aufgereiht standen. Vorbei an Reis und Gemüse steuerte sie schnurstracks auf die Schüssel mit der restlichen Kokosmilch zu und nahm erst einmal einen richtig großen Schluck.
Und noch einen.
Und noch einen.
Mit dem vierten konnte sie endlich wieder atmen und dabei fiel ihr siedend heiß auf, dass sie  gerade für jedermann gut sichtbar mitten auf dem Tisch saß. Was, wenn einer oder mehrere sie gesehen hatten? Sie erstarrte mit dem Rest ihres Körpers und drehte nur die Augen so weit sie konnte in alle Richtungen.
An den anderen Tischen wurde eifrig gekocht. Da hatte keiner Zeit sich um einen Stoffaffen zu kümmern. Alle waren konzentriert bei der Sache und steckten mit ihren Nasen über den Töpfen. Kisha und Nina erklärten Frau Wang gerade ihre Rezeptabwandlung. Von diesen dreien drohte ihr also auch keine Gefahr.
Zindy wollte schon erleichtert ausatmen. Da sah sie die VHS-Tante. Die stand gerade einmal zwei Meter von ihr entfernt und starrte sie mit offenem Mund an.
„Das gi, das gibt es doch gar nicht“, stammelte sie und zeigte auf Zindy, was aber Gott sei Dank keiner außer ihr bemerkte. „Da sitzt ein Stoffäffchen und trinkt Kokosmilch.“ Sie blinzelte einmal kurz, aber dieser orange Orang-Utan war immer noch da, auch wenn er sich jetzt nicht mehr bewegte.
Du bist schon fast so verrückt wie dein Sohn, schoss es ihr durch den Kopf. Der sieht auch überall lebendige Stofftiere. Vielleicht war sie aber auch nur überarbeitet. Außer ihr schien nämlich niemand dieses Stofftier bemerkt zu haben. Am besten war es wohl sich einmal kurz umzudrehen. Dann war es sicher weg.
Im Zeitlupentempo drehte sich die VHS-Tante um und zählte leise bis zehn. Dann wandte sie sich wieder dem Tisch zu und ihre Welt war wieder in Ordnung. Schälchen, Servietten, Besteck und Essstäbchen, dazu Reis, Nudeln, Gemüse, Gewürze und eine Schüssel mit Kokosmilch waren auf ihm zu sehen. Aber selbstverständlich kein Stofftier.
Erleichtert schüttelte sie den Kopf. Der Junge mit seinen Flausen hatte sie gehörig aus dem Konzept gebracht. Das nächste Mal sollte sich sein Vater allein um das Problem kümmern.
Wie all die anderen bekamen Kisha und Nina von den Überlegungen der Frau nichts mit. Sie lagen alle im Endspurt mit ihren Gerichten. Die ersten waren gar bereits schon fertig und begannen ihre Kochkünste in den Nebenraum zu tragen, wo alle an einer langen Tafel gemeinsam essen wollten. Kisha und Nina kamen als eine der letzten dazu.
Frau Wang gab eine Lehrstunde im richtigen Umgang mit den Essstäbchen und dann probierte man sich durch die verschiedenen Töpfe. Wie zu erwarten war, schmeckte alles lecker, aber Kisha und Nina erhielten von Frau Wang ein Sonderlob wegen ihrer außergewöhnlichen geschmacklichen Vielfalt ihres Gerichts.
Es wurde ein langer, gemütlicher Abend mit viel Essen und dem einen oder anderen Essstäbchemmalheur. Es wurde viel gelacht und selbst die VHS-Tante taute mit der Zeit mehr und mehr auf.
Zindy saß natürlich nicht mit an der Tafel.
Sie hatte die wenigen Sekunden, die – und da war sich der kleine Stoff-Orang-Utan ganz sicher – ihr die Mutter des ziemlich dumm dreinblickenden Jungen gegeben hatte, genutzt und war in Windeseile auf Kishas Mäppchen zurückgekehrt. Dort saß sie dann mit ihrem unschuldigsten Gesicht bis die Luft rein war.
Kisha und Nina waren mit ihrem Gericht in den Nebenraum verschwunden. Auf ihrem noch nicht geputzten Arbeitsplatz hatten sie netterweise etwas Gemüse, Reis, drei Essstäbchen und eine angebissene Frühlingsrolle zurückgelassen. Zindy fand das sehr fürsorglich.
Sie knabberte verzückt an der Frühlingsrolle und sinnierte dabei darüber, was man mit diesen Essstäbchen sonst noch so anfangen konnte.
Stricken zum Beispiel.
Oder Speerwerfen.


Lies gleich weiter: "Zindy spielt einen Aprilscherz"