Zindy in Paris, Teil 2
Ja, die Tasche war weg und mit ihr Claude. Zindy fand ihn – wie bereits gesagt – doof. Er hatte sie vorhin nur herablassend angesehen und ihr dann direkt mitgeteilt, dass deutsche Stofftiere „so überaupt gar keine Ahnung von Modä im Allgemeinen und Pariser Kotür im Speziellen atten“. Aber das, was eben passiert war, ging gar nicht. Ein Stofftier von seinem Menschen zu trennen hatte niemand verdient. Nicht einmal dieser affektierte Flamingo.
Während die Reisegruppe die nächstgelegene Polizeistation aufsuchte um den Diebstahl anzuzeigen, tröstete Zindy Yves so gut es ging. Er wollte jedoch noch nicht einmal ein Stück Banane. Die Lage war also mehr als Ernst.
Auch wenn ihnen die Polizei keine große Hoffnung gemacht hatte, hielt die gesamte Truppe auf der weiteren Tour nach dem ominösen Mofafahrer Ausschau. Jeder war sich sicher, dass er oder sie ihn finden würde und dann würde er aber so was von festgenommen werden. Ihre Zuversicht übertrug sich auf Chloe und Yves, die sich nach einer Weile ein wenig beruhigten.
Sie besuchten noch eine Kirche und einen gewaltigen Bogen, um den man stundenlang im Kreis herum fahren konnte. Der Mann mit dem Mofa und mit ihm die Tasche mit Claude blieben jedoch nicht auffindbar.
Dann aber kamen sie zum Eifelturm.
Zindy kannte ihn aus dem Fernsehen, auch wenn er in echt mindestens dreimal so hoch war. Wie oft hatte sie heimlich davon geträumt an ihm zu schwingen? Und jetzt stand sie doch tatsächlich vor ihm. Zindy konnte ihr Glück kaum fassen. Sie konnte sich gerade nichts Schöneres vorstellen als mit Yves an den Verstrebungen des Turms herum zu schwingen.
Der hatte im Moment eigentlich so gar keine Lust dazu, doch Zindy zuliebe riss er sich zusammen. Die Schülergruppe hatte noch nicht die erste der vielen Stufen hinter sich gebracht, da waren Zindy und Yves schon in luftiger Höhe unterwegs. Sie schwangen so schnell von Strebe zu Strebe, dass niemand sie bemerkte und wenn, es für eine Sinnestäuschung hielt.
Für eine Weile lenkte Yves das Schwingen so gut ab, dass er nicht an den armen Claude dachte. Er führte Zindy hoch bis auf die zweite Etage, wo er ihr und sich aus dem kleinen Restaurant je ein Odövre besorgte. Während sie das genüsslich verspeisten, zeigte ihr Yves noch einmal alle Sehenswürdigkeiten von oben. Zindy war mächtig beeindruckt. Dieses Paris war schon eine recht große Stadt. Noch ein letzter Blick und dann nahmen sie den Rückweg nach unten in Angriff, denn sie wollten so zeitig am Fuße des Turms sein, dass sie Niklas und Jules auf keinen Fall verpassten.
Die beiden Stoff-Orang-Utans befanden sich etwa zehn Meter über dem Boden und hatten auch ihre Gruppe bereits gesichtet als Zindy etwas merkwürdig vorkam. Unter ihnen war ein wildes Kommen und Gehen. Gelächter, Sprachgewirr und die verschiedensten Farben wirbelten bunt und laut durcheinander.
Bis auf zwei Personen. Die saßen regungslos auf ihren Mofas und beobachteten die Umgebung oder genauer gesagt die Menschen. Den einen hatte Zindy noch nie gesehen, aber den anderen erkannte sie sofort. Da nutzte es ihm auch nicht, dass er jetzt eine andere Jacke trug.
Und noch etwas war nicht wie vorher: Die Satteltaschen des Mofas waren ausgebeult und auf dem Gepäckträger war ein leicht durchsichtiger, halbvoller, gelber Müllsack festgeklemmt.
Zindy sah aufgeregt zu Yves.
„Da ist er“, wollte sie ihm schon zurufen. „Schau doch!“
Der aber hatte Chloe gesichtet, die wie ein Fremdkörper inmitten der lustigen Schülerschar wirkte. Wahrscheinlich hatte sie sogar etwas geweint. Sie lächelte gequält und Yves schämte sich jetzt wohl, dass er mit Zindy etwas Spaß gehabt hatte. Er blickte ins Leere und dachte dabei bestimmt an den armen Claude.
Zindy legte ihm einen Arm um die Schulter, während sie wieder zu dem Mofafahrer sah. Sie überprüfte noch einmal, ob sie sich auch wirklich nicht geirrt hatte. Aber sie war sich ganz sicher, vor allem als sie in dem Müllsack ein zusammengequetschtes Stofftier entdeckte. Eigentlich sah man von ihm nur den Kopf und den langen Hals und beides war rosa. Flamingorosa.
Instinktiv spürte Zindy, dass sie schnell handeln musste und mit Yves Hilfe konnte sie dabei nicht rechnen. Der seufzte schwer und für eine lange Erklärung war ohnehin keine Zeit.
Selbst konnte sie ihn in keinem Fall stellen. Das kleine Stoff-Orang-Utan-Mädchen musste also andere auf ihn aufmerksam machen. Nur wie? Das einzige, das sich unter ihr befand, waren Dutzende von Souvenirständen, die für die Touristen allerlei Krimskrams führten. Zeichnungen warteten mit T-Shirts, Mützen, Tüchern, Fahnen in den französischen Farben und kitschig bunten Miniaturen von Eifelturm, Triumphbogen und dieser besonders tollen Kirche auf willige Käufer.
Zindy haderte mit sich. Sie konnte ja schlecht mit einem Zinneifelturm nach dem Mann werfen. Die kleinen Nachbildungen waren viel zu schwer für sie. Zum Schluss klemmte sie sich bei der Aktion noch zwischen den vielen Souvenirs ein.
Der begeisterte Aufschrei eines kleinen Mädchens brachte sie schließlich auf die richtige Idee. Das hatte zwischen all dem Tand eine große Schachtel mit toten Stoffherzen in der Größe eines Hühnereis ausgemacht und bettelte nun seine Eltern an ihr eines davon zu kaufen.
Auf den Herzen war irgendetwas mit weißen Buchstaben aufgestickt, was weder das Mädchen noch Zindy lesen konnten. Das war jedoch für beide belanglos. Das Mädchen wollte einfach nur ein rotes Herz und Zindy Munition. Kaum dass das Mädchen mit seinen Eltern verschwunden war, legte der kleine Stoff-Orang-Utan los.
Zindy sprang mitten in die große Schachtel, schnappte sich das erste Herz, kletterte in Windeseile auf die nächste Straßenlaterne und zielte auf den Mofafahrer, der nur wenige Meter entfernt stand. Kaum war das Herz abgefeuert, war sie auch schon wieder unten um Nachschub zu holen. Innerhalb von wenigen Minuten prasselte so ein ganzer Regen an Herzen auf den Dieb nieder.
Der lachte beim ersten Treffer noch. Doch nach dem dritten begann er erst leise, dann immer lauter zu schimpfen, was ziemlich dumm war. Denn so wurden nicht nur die Umstehenden, sondern auch der Souvenirverkäufer auf ihn aufmerksam.
Schreiend und wild mit den Armen fuchtelnd rannte der und mit ihm gleich mehrere seiner Kollegen auf den Mofafahrer los. Zindy verstand kein Wort. Aber es war auch so klar, dass alle glaubten, er habe die Herzen stehlen wollen. Während zwei ihn festhielten, öffneten die anderen die Satteltasche und den Müllsack.
Um das Geschehen hatte sich bereits eine Menschentraube gebildet, aus der jetzt ein Freudenschrei zu hören war und dann stürmte Chloe nach vorne und entnahm dem Müllsack ihre Tasche nebst Claude.
Von irgendwoher tauchten zwei Polizisten auf und dann war alles schnell aufgeklärt.
Mann, Mofa und das Diebesgut durften mit auf die Wache und Chloe drückte abwechselnd ihre Tasche, Claude und - warum auch immer – Jules. Sogar Niklas war einmal dran.
Nach so viel Aufregung ging die gesamte Gruppe dann erst einmal ins nächstgelegene Café. Zindy und Yves wurden von den Jungs zu Claude in Chloes Tasche gesetzt, damit sich auch der Flamingo von dem Schrecken erholen konnte.
Die drei Stofftiere waren die einzigen, die die ganze Wahrheit kannten, denn Claude hatte sie Yves sofort erzählt. Offensichtlich war Zindy in der Achtung des Stoffflamingos um mindestens zehn Stufen gestiegen, denn er ließ ihr über Yves mitteilen, dass sie „eute an der Sonne wohl etwa Farbe bekommän atte und dass dieser dunklere Ta ihre Augen ganz wunderbar betonte“. Er ging sogar soweit sie zu fragen, ob sie nicht etwas zu essen haben wollte.
Und Zindy?
Nun, die hatte inzwischen ein wenig gelernt und antwortete in ihrem besten Französisch.
„Dö Krosan, sil wu plä."
Lies gleich weiter: "Zindy an der Ostsee"