Zindy forever
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Zindy rettet die Stofftierfabrik


In der uns allen wohl bekannten Stofftierfabrik irgendwo in Europa herrschte seit einigen Tagen eine sonderbare Stimmung. Die Näherinnen ließen sich besonders viel Zeit für jedes einzelne Stofftier und machten schon mal eine zusätzliche Naht. Die Lagermitarbeiter warfen die fertigen Löwen, Affen und Lamas nicht mehr in die Kunststoffboxen zu ihren Artgenossen, sondern setzten jedes einzelne Stofftier liebevoll dazu. Es wurde immer noch viel geschwatzt, aber deutlich weniger gelacht und manchmal sogar geseufzt.
Und das hatte einen schlimmen Grund: Flaute.
Seit Monaten ging nun schon überall die Nachfrage nach Stofftieren zurück und manch einer der Angestellten flüsterte hinter vorgehaltener Hand von Schließung.
Selbst die Stofftiere im Lager hatten das inzwischen mitbekommen. Das Schwein Was-auch-immer war noch gereizter als sonst und maulte jeden grundlos an, der ihm über den Weg lief. Und das, obwohl alle eifrig im Unterricht zuhörten und sich selbst die Orang-Utans für ihre Verhältnisse geradezu mustergültig verhielten.
Ab und zu hörte man ein leises Schniefen aus einer der halbvollen Boxen. Kenn-ich-auch-nicht, ein falsch zusammengenähter Teddybär und heimlicher Boss aller Stofftiere, versuchte vergeblich alle aufzubauen. Doch selbst er hatte eine so schwere und so langanhaltende Krise noch nicht erlebt und er war schließlich schon immer und ewig hier. Manch ein Stofftier saß hin und wieder schon einmal Probe in einem der Versandkartons. Nur für den Fall, daß eine Anfrage kam.
Zindy wusste von den Sorgen der Tiere in der Stofftierfabrik nichts. Wie auch? Sie telefonierte ja nicht täglich mit Was-auch immer und auch das Internet war ihr verschlossen. So war es purer Zufall, daß sie davon erfuhr.
Kisha hatte den Fernseher eingeschaltet und räumte nun noch schnell die Spülmaschine aus. Deshalb lief irgendein Vorabendmagazin. Politik und Sport überhörte und übersah Zindy gelangweilt. War eh nur Blabla. Dann aber war sie mit einem Schlag hellwach.
Ein Reporter führte die Zuschauer durch eine der letzten Fabriken, die noch Stofftiere in Europa produzierten. Zindy erkannte sie sofort. Die netten Näherinnen. Das Lager. Sogar Was-auch-immer war einmal kurz im Bild.
„Traurig zu sagen, daß auch diese Traditionsfabrik wahrscheinlich in wenigen Monaten schließen werden muss. Offensichtlich sitzen unsere Kinder heutzutage lieber vor einer Spielekonsole. Dabei sind Stofftiere für die Entwicklung der kindlichen Fantasie immens wichtig“, schloss er seinen Bericht. „Aber was soll man machen, wenn die Nachfrage ausbleibt.“
Ihre Stofftierfabrik schließen? Das ging gar nicht. Zindy war so aufgewühlt, daß sie sogar vergaß, daß sie eigentlich Hunger hatte. Sie sollte, nein, sie musste, nein, sie würde etwas dagegen unternehmen.
Nur was? Sie konnte weder den Bürgermeister aufsuchen noch im Internet zu einer Aktion aufrufen oder sich aus Protest vor dem Kaufhaus anketten. Sie überlegte lange hin und her. Aber erst als Kisha sie auf dem Sofa zum Kuscheln mit unter die Decke zog, kam ihr eine Idee.
Sie musste die Stofftiere ins Gedächtnis der Menschen zurückbringen.
Gleich am nächsten Tag berief sie ein außerordentliches Gäng-Treffen ein und am gleichen Abend wurde Außenposten Heiner übers Telefon instruiert.
Der Auftrag war einfach und schwer zugleich. Jeder von ihnen musste jedes Stofftier, das ihm oder ihr über den Weg lief darüber informieren. Und dann mussten sie einfach immer und überall sein.
Und das taten sie dann auch. Wahrscheinlich gab es bald keinen Menschen mehr, der nicht mindestens dreimal täglich über ein Stofftier stolperte. Es war einfach unmöglich ihnen zu entkommen.
Suchte jemand nach seinem verlegten Autoschlüssel, saß sofort ein Stofftier gut sichtbar mit demselben bereit.
Brauchte jemand ein besonderes Geschenk, fand er ein Stofftier an seinem Platz.
Funktionierte die Spielekonsole nicht richtig, bildeten mehrere Stofftiere einen Pfeil nach, der nach draußen zum Spielplatz wies.
War jemand unglücklich oder allein, lächelten ihm alle Stofftiere in der Umgebung freundlich zu.
Plagte einen eine Erkältung, hatte ein Stofftier Taschentücher parat.
Und hatte jemand Hunger, fiel ihm von ganz allein eine Tüte Kartoffelchips nebst Stofftier vor die Füße.
Kinderzimmer, Auto, Arbeitsplatz- sie waren plötzlich nirgends nicht.
Selbst im Hause Knirps sorgte das zu Zindys Erstaunen und Freude für eine Veränderung.
Beim gemeinsamen Sonntagsfrühstück stellte Kisha Papa Daniel ein Stofftier an den Platz. Sie hatte es im Schaufenster eines Ladens gesehen und nicht wiederstehen können.
Nina hatte zwar noch gemeint, daß ihre Mutter wenig begeistert sein würde, wenn Kisha schon wieder ein Stofftier anschleppte.
Aber Kisha hatte abgewinkt. „Ich schenke es einfach meinem Vater.“
Der war der kleinen Raupe nicht abgeneigt. „Ich nenne sie Ranger.“
Niklas hatte nur gegrinst. Er und seine Freunde hatten sich schon die ganze Woche über einen Spaß daraus gemacht, zu jeder Tages- und Nachtzeit ein Stofftier durch die Gegend zu schleppen. Wer zuerst darauf gekommen war, wussten sie selbst nicht. Sie hatten es dann kurzerhand Stofftier-Challenge genannt und wer seines vergessen hatte, musste sich zur Strafe im Physikunterricht melden und vor der ganzen Klasse „Ich habe mein Stofftier vernachlässigt!“ bekennen.
Mama Kathrin hatte dagegen wie üblich das Gesicht verzogen. „Die kommt mir aber nicht ins Schlafzimmer!“
„Bestimmt nicht“, hatte Papa Daniel ihr versichert und die Stoffraupe amüsiert betrachtet. „Ranger“, hatte er Kisha zugezwinkert, „ist eine Handwerkerraupe und die wohnen bekanntlich in der Garage.“ Dann hatte er Ranger eine Scheibe Salami hingehalten. „Noch eine kleine Stärkung ehe wir uns an die Arbeit machen, Ranger?“
Zindy hatte das alles von ihrem Posten neben dem Telefon beobachtet. Diese Raupe stellte sich nicht dumm an und wurde daher auch gleich mit Essen versorgt. Man könnte darüber nachdenken, diesen Ranger eventuell in die Gäng aufzunehmen.
Daß der Einsatz der Stofftiere aber wirklich Wirkung erzielte, erfuhr Zindy zwei Monate später. Wieder lief im Fernsehen irgendein Vorabendmagazin. Den Reporter erkannte der kleine Stoff-Orang-Utan gleich wieder. Er berichtete erneut aus der Stofftierfabrik. Da aber sah es jetzt wie früher aus.
Die Näherinnen lachten wieder bei der Arbeit und die Boxen waren randvoll. In letzter Zeit war wohl die Nachfrage nach Stofftieren sprunghaft angestiegen und deshalb würde die Fabrik nun doch offen bleiben.
Beim Schwenk der Kamera durch das Lager entdeckte Zindy auch Was-auch-immer. Er blickte streng auf die Box der Orang-Utans, wo wieder das bekannte Chaos herrschte. Arme und Beine hingen wild über den Rand und einer lag mal wieder zwei Etagen tiefer bei den Faultieren.
Allerdings war etwas ein klein wenig anders.
Das obligatorische Lineal war nirgends zu sehen und in den Augen des Schweins sah Zindy etwas, was sie bisher so noch nie bei ihm gesehen hatte.
Erleichterung.
Was-auch-immer schien einfach nur darüber froh zu sein, daß es mit der Stofftierproduktion weiterging.
Wer aber in Wirklichkeit die Stofftierfabrik gerettet hatte, würde Was-auch-immer wohl nie erfahren.
Aber das machte Zindy gar nichts aus.

 

 


Lies gleich weiter: "Zindy macht ein Praktikum"