Zindy forever
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Zindy lässt Drachen steigen


Natürlich kennt ihr alle das Drachen steigen lassen im Herbst. Kaum dass die Felder abgeerntet sind, geht es in vielen Gegenden los. Hauptsächlich Kinder, manchmal aber auch Erwachsene ziehen mit teils selbst gebauten, teils gekauften Drachen los um sie im sanften Wind eines September- oder Oktobernachmittags auf Wiesen auf Feldern oder Wiesen hoch am Himmel steigen zu lassen.
Zindy war wohl eine der wenigen die dieses herbstliche Vergnügen nicht kannte. Und wäre an diesem Nachmittag nicht draußen auf der Straße vor dem Knirpsschen Haus plötzlich ein  Riesengeschrei gewesen, hätte sie es womöglich auch in diesem Jahr versäumt. Das Lachen und Rufen der vorbeistürmenden Kinder war aber so laut, dass man es nur sehr schwer überhören konnte.
„Lauf schneller, Manuel!“ rief eines. „Sonst sind die besten Plätze weg.“
„Mit dem Teil geht es nicht besser“, kam die Antwort. „Ich bin schon zweimal über die Schnur gestolpert.“
„Aber cool ist deiner schon“, war eine dritte Stimme zu hören. „Ich habe nur so einen dummen Schmetterling.“
„Habt ihr auch bei den Hausaufgaben geschwindelt?“ fragte eine weitere. „Sonst wäre ich nie weggekommen.“
Das darauf folgende Gelächter erübrigte jedes weitere Wort.
Oben in Kishas Wohnung war Zindy spätestens seit „besten Plätze“ hellwach und bei „geschwindelt“ klebte sie bereits förmlich an deren Badezimmerfenster.
Unten rannten gerade vier Kinder am Haus vorbei. Während drei von ihnen Stofftaschen dabei hatten, zog ein Junge ein großes Stück Plastikfolie, das mit drei Holstäben gespant worden war, in etwa zwei Metern Höhe hinter sich her. Auf der Folie war ein Adler aufgedruckt, der nun im Gegenwind lustig flatterte.
Ich habe eine neue Schnur“, gab der Junge vor den anderen an. „Fünfzig Meter misst die.“
Fünfzig Meter hörten sich für Zindy spektakulär an und weil sie gerade nichts anderes zu tun hatte, beschloss sie den Kindern zu folgen, was leichter gesagt als getan war. Bis Zindy auf ihrem üblichen Weg unten vor dem Haus war, waren die nämlich schon lange weg. Der kleine Stoff-Orang-Utan wollte schon fast wieder umkehren. Doch da hörte sie das typische Geklapper eines herannahenden Kinderfahrrades.
Ein kleines Mädchen raste mit seinem rosa Einhornfahrrad die Straße entlang. Unter dem ebenfalls rosafarbenen Helm war ihr Gesicht vor lauter Anstrengung ganz rot.
„Wartet auf mich, Manuel, Lukas“, schrie sie, obwohl die Jungs nicht mehr zu sehen waren. Sie schien jedoch das Ziel der Jungs zu kennen und Zindy nahm mit einem gewagten Sprung vom Mülltonnenhäuschen in den Gepäckkorb des Fahrrades die Mitfahrgelegenheit heimlich in Anspruch.
Neben einer Trinkflasche, einem Apfel und einem länglichen Päckchen, in den sich dem Bild nach zu schließen ein kleiner Drachen in Form einer Elfe befand, landete sie sanft auf der Strickjacke des Mädchens. Sie kuschelte sich so zwischen deren Ärmel, dass sie zwar gut sehen, aber schlecht gesehen werden konnte und beobachtete von dort aufgeregt alles und alle, an denen sie vorbeikamen.
Lange dauerte es allerdings nicht bis das Mädchen sein Ziel erreicht hatte, denn die Drachensteigenwiese war nur vier Straßen weiter. Das Fahrrad plumpste achtlos zu Boden und Zindy kullerte heraus. Zu ihrem Glück fiel das dem Mädchen nicht auf. Die schnappte sich nur ihren Drachen und war schon unterwegs zu ihren Brüdern.
„Manuel! Lukas!“ eilte sie zu ihren wenig begeisterten Brüdern. Ihr müsst meine Elfe zusammenbauen.“
Die hatten dazu gar keine Lust, doch die frech angefügte Drohung „Sonst sage ich es Mama!“ verfehlte ihren Zweck nicht und so war ihre Elfe binnen fünf Minuten flugfertig.
Das kleine Mädchen hatte etwas Mühe. Doch weil ihre Brüder schon mal dabei waren, halfen sie ihr ihren Drachen in die Luft zu bekommen und schon bald schwebte er einige Meter über ihr.
„Hallo Sofie!“ hörte man plötzlich eine Stimme. Ein Mädchen in ihrem Alter hatte wohl etwas fürchterlich Interessantes gefunden und winkte das kleine Mädchen herbei.
Abgelenkt legte die das Ende der Drachenschnur einfach auf den Boden und rannte zu ihrer Freundin. „Was hast du, Lena?“
Ihre Elfe war vergessen.
Die blieb natürlich nicht brav da, wo sie gerade war. Ohne den Zug von unten wirbelte der Drachen mehrmals nach links und rechts, drehte ein paar verrückte Saltos und flatterte dann einige Meter weiter, wo er mitten im hohen Gras zu Boden glitt.
Sofie und ihre Freundin bekamen davon nichts mit. Sie waren viel zu sehr darin vertieft zwei spielenden Kätzchen zuzusehen. Was war dagegen schon ein Drachen?
Zindy dagegen hatte es sehr wohl bemerkt. Sie fand die bunten Drachen am Himmel einfach nur toll. Manche flogen ganz, ganz hoch und wer es von den Kindern besonders gut konnte, ließ seinen Drachen sogar Kunststücke machen. Es gab viele Vögel unter ihnen, Schmetterlinge und sogar richtige Drachen, einen Clown und Sofies Elfe. Die erinnerte den kleinen Stoff-Orang-Utan ein wenig an Kisha. Dass sich der Drachen jetzt so einfach versteckte, fand Zindy dagegen etwas doof.
Nach einer Weile trollten sich die beiden Kätzchen und Sofie fiel ihr Drachen wieder ein. Sie sah zum Himmel. Der war voller Drachen, nur eine Elfe war nicht darunter.
„Mein Drachen ist weg!“ rief sie betrübt und rannte zurück zu der Stelle, an der sie ihn so achtlos alleine gelassen hatte.
„Er kann nicht weg sein“, versuchte ihre Freundin sie zu beruhigen. „Komm, wir suchen!“
Planlos liefen die beiden kleinen Mädchen hierhin und dorthin, doch der Drachen blieb verschollen.
Zindy, die wusste, wo er lag, wollte einmal schon fast “Noch fünf Meter weiter!“ rufen als Sofie ganz in der Nähe der Absturzstelle war. Aber das durfte sie ja nicht. Nur wie sollte sie das kleine Mädchen sonst zu der Stelle bringen, wo er lag.
Durch das hohe Gras gut geschützt hüpfte sie erst einmal zu der Elfe. Die hatte zwar den Absturz ohne Schaden überstanden, machte aber ansonsten keine Anstalten sich wieder in die Lüfte zu erheben. Zindy stupste sie mehrmals mit dem Fuß an, zog und schob sie ein wenig und kroch sogar unter sie.
Die Elfe aber blieb unbeeindruckt am Boden liegen.
Zindy überlegte. Die Kinder rannten los und zogen ihre Drachen dabei an der Schnur hinter sich her. Das konnte sie natürlich nicht tun. Doch die Schnur war gar kein übler Ansatz. Was, wenn sie statt den Drachen nur den Griff, um den die Schnur gewickelt war, in Sofies Sichtfeld brachte? Der war viel leichter, was gut für sie war. Und er war rosa, was gut für Sofie war.
Gesagt, getan. Zindy musste einfach nur dem Ende der Schnur folgen, das am Bauch der Elfe befestigt war. Wenn sie von da aus immer der Schnur nachging, kam sie unweigerlich zum Griff. Den konnte sie dann vorsichtig in die Nähe der Kinder befördern. Da Sofie inzwischen fast weinte, würde jedes von ihnen ihr bestimmt gerne helfen, sobald es ihn entdeckte.
Wie nicht anders zu erwarten hatte sich die Schnur beim Ausbüxen des Drachen komplett ab- und verwickelt. Zindy musste viele Kreise und Bögen hüpfen ehe sie zu ihrem anderen Ende und damit zu dem rosa Griff kam. Der war dann im Vergleich zu dem Drachen futziaffenleicht.
Zindy wandte die versteckte Wurftechnik an. Im hohen Gras verborgen holte sie Schwung und warf den Griff jedes Mal ein gutes Stück näher zu den Kindern. Einmal vergaß sie dummerweise den Griff rechtzeitig loszulassen und bekam ihn prompt ins Gesicht. Aber bis auf den Umstand, dass sie dadurch umfiel, passierte nichts weiter. Schließlich war sie ja ein Stofftier.
Nach gut einem Dutzend Würfen lag der Griff endlich nur noch zwei Meter von einer Gruppe von vier Jungs entfernt. Tief gebückt sah der kleine Stoff-Orang-Utan zu ihnen und konnte dabei sein Glück kaum fassen. Bei den Jungs handelte es sich nämlich um niemand anderen als die vier Kinder von vorhin. Folglich waren zwei davon Sofies Brüder und die würden die Elfe sofort erkennen.
Zindy suchte noch nach einer Möglichkeit, sie auf den Griff aufmerksam zu machen. Näher konnte sie selbst nicht mehr an die Kinder heran ohne entdeckt zu werden.
Doch dieses Mal kam ihr der Zufall in Form einer dummen Jungsaufgabe, die Manuel seinem jüngeren Bruder Lukas stellte, zu Hilfe. Damit der den großen Adlerdrachen seines Bruders auch einmal lenken durfte, sollte er erst zehn Purzelbäume am Stück schlagen. Manuel ging davon aus, dass Lukas danach schlecht war und er seine Ruhe hatte. Der hatte das natürlich nicht durchschaut und sich mit Feuereifer an die Sache gemacht.
Ein Purzelbaum war einfach. Ein zweiter auch. Beim dritten wurde ihm leicht schummerig und beim vierten stieß er sich den Kopf an etwas hartem.
„Aua. Was war das?“ jammerte er und hielt sich dabei die Hand ans Ohr. Dorthin, wo ihn etwas Spitzes getroffen hatte. Er sah sich um und bemerkte sofort den rosa Griff.
Der Rest der Geschichte war dann nur zu logisch, erklärte Zindy später Gerome. Sofie war so glücklich, dass sie ihren heißgeliebten Drachen wieder hatte, dass sie – wenn auch vergeblich – versuchte ihre Brüder zu küssen. Lukas durfte dann doch noch Manuels Adler übernehmen, denn der brachte Sofies Elfe hoch in die Luft. Dort tanzte er mit den anderen Drachen um die Wette, wobei Zindy und Sofie sich einig waren, dass die Elfe der mit Abstand schönste Drachen am Nachmittagshimmel war.


Lies gleich weiter: "Zindy bittet zum Tanz"