Zindy auf dem Faschingsumzug
Im ersten Jahr hatte Zindy diesen Fasching gar nicht verstanden.Fasching. Schon das Wort war komisch. Es klang nicht einmal schön. Bananeneis war da viel schöner. Aber Fasching?
Niklas, Kishas Bruder, war da ganz anders. Sein Faschingsfieber begann bereits im Herbst. Da hatte er sich bereits mit seiner Clique getroffen um das Motto für ihren Wagen festzulegen, mit dem sie in der nächsten Saison an den Umzügen teilnehmen wollten. Zindy hatte das alles kalt gelassen. Sie hatte zu der Zeit in ihren Halloweenvorbereitungen gesteckt.
Viel hatte sie dann bis Ende Januar von diesem Fasching auch nicht mehr gehört. Doch urplötzlich war er wieder da gewesen und das mit voller Wucht. Von da an ging es bei Kisha und Niklas scheinbar nur noch um Kostüme und das streng geheime Motto des neuen Umzugwagens. Kisha fragte direkt, listig und einmal sogar als ihr Bruder auf dem Sofa döste, aber er ließ sich nicht überrumpeln und schwieg beharrlich.
„Ach komm, Niklas“, jammerte sie. „Wenigstens ein Tipp. Nina und ich wollen doch unsere Verkleidung darauf ausrichten. Vielleicht fahren wir ja auch ein-, zweimal bei euch mit. Wäre doch doof, wenn wir so gar nicht zu euch passen würden.“
„Ja“, grinste der. „Zwei Meerjungfrauen zwischen lauter schwarz-weiß gestreiften Sträflingen wäre zugegeben ziemlich sonderbar.“
Kisha strahlte. „Ihr habt also das Motto „Gefängnis“.“
Niklas grinste nicht mehr. Er lachte. „Natürlich nicht. Aber ein netter Versuch.“
Keinen Millimeter war Kisha weiter gekommen. Zindy jedoch verstand allmählich das Prinzip dieses Faschings. Die Menschen schlüpften in andere Charaktere und feierten dann lustige Partys mit viel Knabberzeug.
Gut. Manche Kostüme waren etwas seltsam. Dass man sich in einen Affen verwandeln wollte, verstand sie. Aber wer wollte schon eine Gießkanne oder gar eine Klobürste sein? Irgendwann beim Abendessen im Familienkreis rückte Niklas dann doch noch mit ihrem Thema raus. „Wild im Dschungel“ lautete es und Zindy war sofort begeistert. Eigentlich – fand sie – war es das einzig vernünftige Motto.
Niklas erzählte von den Fortschritten am Wagen und den bereits bestellten Kostümen. Als Elefanten, Affen, Papageien, Schlangen und Tigern würden sie gehen.
Und dann erwähnte er das, was Zindy endgültig von diesem Fasching überzeugte: Das Süßigkeiten werfen.
Diesen tollen, fantastischen, gigantischen Brauch hatte man ihr bisher einfach unterschlagen und dabei ging es doch um Essen! Vielleicht zögerten Kisha und Nina ja noch, aber sie würde auf jeden Fall einmal bei so einem Umzug dabei sein.
Die Gelegenheit dazu ergab sich dann auch bald darauf.
Niklas affenstarkes Gorillakostüm hatte gleich beim ersten Umzug Schaden genommen. Eine wohl nicht ganz so sorgfältige Naht am rechten Ärmel war aufgegangen. Während er selbst halb angezogen auf Kishas Sofa saß, den Gorillakopf neben sich, brachte seine Schwester das Kostüm wieder in Ordnung. Da er wie üblich wieder einmal viel zu spät dran war, sah er sich ungeduldig in Kishas Wohnzimmer um. Schließlich wurde er in fünf Minuten vor der Haustür erwartet.
„Mach doch etwas schneller!“ forderte er Kisha auf. Dann entdeckte er Zindy und Gerome auf dem Kissen neben sich. Er begann frech zu grinsen und stülpte sich den Gorillakopf über. „Ich leihe mir dann mal deine Zindy“, ertönte es unter der Maske. Er hielt Zindy daneben und schoss schnell eine Selfie. „Zusammen sehen wir einfach umwerfend aus.“
Kisha konnte gar nicht so schnell reagieren wie ihr Bruder den kleinen Stoff-Orang-Utan in seinem Rucksack verschwinden ließ.
„Bring sie unbeschädigt zurück!“ war alles, was sie noch sagen konnte. „Sie ist sehr sensibel.“
Und schon war Zindy auf dem Weg zu ihrem ersten Faschingsumzug. Ein wenig bedauerte sie, daß Gerome nicht dabei war. Aber der blieb wahrscheinlich eh lieber zu Hause. So ein Dschungel war in ihren Augen auch viel zu wild und gefährlich für ihn.
Die Fahrt zum Aufstellungsplatz des Umzugs am Rand eines kleinen Nachbarortes dauerte nur kurz. Zindy war froh darüber. In Niklas Rucksack war es eng und dunkel. Wie sollte sie da etwas von dem ganzen Trubel mitbekommen?
Dort aber landete der Rucksack neben anderen an einem Wandhaken im Inneren des Motivwagens. Da er noch etwas benötigte, öffnete Niklas den Reißverschluss des Rucksacks und nahm das gewünschte heraus. Eilig hängte er sich die Bananenkette um den Hals und verschwand über eine kleine Treppe nach oben. Wenige Sekunden später war von dort überlaute Musik zu hören.
Zindy streckte vorsichtig erst den Kopf, dann einen Arm heraus. Sie war gerade dabei sich ein wenig umzusehen, da polterten zwei paar Elefantenfüße die Treppe herunter.
„Wo haben wir nur wieder die Schokoriegel versteckt?“ fragten die hinteren.
Zindy glaubte die Stimme zu kennen. Richtig, das war Ludwig, der heute nicht als Knappe diente, sondern in einem Elefantenkostüm steckte.
Er hatte die Kartons mit den Riegeln entdeckt und gleich einen davon dem anderen Elefanten in die Hand gedrückt. Dann sah er Zindy.
„Hallo, Zindyrella“, begrüßte er sie. „Du wirst doch wohl nicht hier unten bleiben wollen?“
Er drückte seinem Kumpel noch eine große Tüte Bonbons in die Hand, klemmte sich selbst Schokoriegel und Bonbons unter den einen Arm und schnappte sich Zindy mit der anderen Hand. „Der Spaß findet oben statt.“ Dort steckte er Zindy zusammen mit einigen Süßigkeiten in eine Bananenstaude und rief Niklas ein „Cool, daß du sie mitgebracht hast!“ zu.
Der hob nur kurz den Daumen. „Wenn du Glück hast, kommt meine Schwester später auch noch.“
Dann setzte sich der Wagen in Bewegung.
„Wild im Dschungel“ war im Umzug ein Platz zwischen einer Trommlergruppe und einer Fußgruppe, die irgendetwas mit dem Bürgermeister und einem viel zu teuren Umbau anprangerte, zugeteilt worden.
Die Trommler waren ganz nach Zindys Geschmack. Setzte ab und an die Musik auf dem Wagen aus, brachten sie Schwung in die Bude. Die Fußgruppe dagegen langweilte sie. Zindy streckte ihnen kurz die Zunge raus und konzentrierte sich dann lieber auf Niklas und Ludwigs Wagen.
Der war nämlich wirklich toll geworden.
Die Zuschauer am Straßenrand konnten auf ihm die unterschiedlichsten Pflanzen erkennen. Da gab es Farne und Orchideen, Würgefeigen, Paranussbäume und viele, viele Lianen. Dazwischen linsten Tiere hervor und auch an farbenfrohen Früchten fehlte es nicht. Niklas und seine Freunde standen sozusagen in den Baumkronen und sahen auf die Menschen herab, die bunt kostümiert den Zug verfolgten. Passend zum Motto gab es bei ihnen neben den üblichen Süßigkeiten auch Mandarinen und Bananen, die sie von ihrem Wagen in die Menge werfen würden.
Zindy in ihrer Bananenstaude war einfach nur verzückt. Alle sangen, tanzten und lachten. Bonbons und Schokoriegel flogen in die Richtung von winkenden Kindern. Auch auf dem Wagen wurde immer wieder gegessen und der eine oder andere dachte dabei auch an Zindy. Drei Mandarinenscheiben und eine halbe Banane landeten so nach und nach neben ihr. Zindy entschied sich für den Anfang für ein Stück Mandarine und schlutzte im Takt zum nächsten Lied daran.
Von irgendwoher flogen Konfetti und begruben sie fast unter sich. Sie schüttelte sich einiges aus den Ohren und tastete mit den Händen nach den Bonbons. Sie konnte keines mehr sehen, aber – gottseidank – sie waren noch da. Eigentlich war es eine Schande, sie nach unten zu werfen. Aber ein einziges, kleines konnte sie vielleicht opfern. Falls sie jemand fand, der es wert war. Suchend blickte sie in die Menge.
Leute, die nicht klatschten. Nein.
Eine Gruppe Jugendlicher, die den kleineren die Süßigkeiten vor der Nase wegschnappten. Nein.
Ein Junge, in einem lustigen Clownskostüm. Den sah sich Zindy genauer an. Hey, Moment mal. Das war doch nicht?
Doch, das war der ziemlich dumm dreinblickende Junge.
Sollte sie dem ein Bonbon zuwerfen? Irgendwie sah er heute in seinem Kostüm sogar etwas nett und etwas weniger dumm aus.
Zindy entschied, ihm ein Bonbon zuzuwerfen. Nur eines. Ihrer schwierigen Beziehung konnte es nur guttun.
Sie holte aus und warf und er fing es tatsächlich. Anscheinend hatte sie eines erwischt, daß ihm besonders gut schmeckte, denn er strahlte übers ganze Gesicht.
Zindy fand das so schön, daß sie ihm noch ein zweites, einen Schokoriegel und ein Stück Mandarine zukommen ließ. Das landete allerdings nicht bei ihm.
Damit war aber für Zindy auch genug mit der Werferei. Das war ganz schön anstrengend und außerdem wollte sie ja schließlich noch ein paar für sich haben. Sollten das doch Niklas und Ludwig machen.
Sie ließ sich stattdessen in ihrer konfettigepolsterten Bananenstaude auf den Rücken fallen. Mit einer Mandarinenscheibe in der linken und einem Schokoladenriegel in der rechten Hand verstand sie gar nicht mehr, warum sie dieser Fasching zuerst nicht interessiert hatte.