Zindy forever
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Zindy alias „The Zin“

 

An fast unsichtbaren Bananenfäden schwang sie sich durch ihre Stadt. Von der Dachrinne ging es über eine Straßenlaterne zur nächsten Dachrinne und von einem Balkongeländer zum nächsten Balkongeländer, wobei ihr auch mal ein Basketballkorb oder ein Fahnenmast als Zwischenhalt diente. Leicht flatterte ihr Superheldinnencape dabei im Wind.
Aufmerksam blickte sie in alle Richtungen. Im Augenblick war gerade alles ruhig, doch sie wusste, daß sich das leider nur allzu schnell ändern konnte.
Sie erreichte den Kirchturm und ließ sich auf dem Stundenzeiger der Uhr nieder. Dies war ihr bevorzugter Beobachtungsposten. Mit ihrem Stofftierspezialblick konnte sie nämlich von hier oben aus auch die kleinste Bewegung im Umkreis von sechsundsiebzig neun siebenunddreißig Metern erkennen. Doch sie konnte nichts ausmachen, das ihre Aufmerksamkeit erforderte. Alles friedlich. Für ihren Geschmack schon etwas zu friedlich.
Sie wollte schon zum Spielplatz am Rand der Wohnsiedlung weiter schwingen, dort wo hochgewachsene Bäume ihr Sichtschutz und Hangelmöglichkeiten zugleich boten. Da drang plötzlich ein verzweifeltes Stöhnen an ihr geschultes Ohr. Es kam von einem der Einfamilienhäuser, genauer gesagt aus einem Fenster im ersten Stock. Zindy machte sich sofort auf den Weg.
Nur wenige Sekunden später hatte sie freie Sicht auf das Fenster. Ihr bot sich ein schrecklicher Anblick.
Ein leicht moppeliges Stoffnilpferd steckte in dem gekippten Fenster fest. Der auf der äußeren Fensterbank liegende Keks ließ erahnen, was sich hier abgespielt hatte. Ganz offensichtlich hatte sich das Nilpferd auf eine Kekspackung gestürzt und das so wild, daß es den Inhalt kreuz und quer im Raum verteilt hatte. Das es es dabei geschafft hatte, einen Keks durch den Fensterschlitz genau auf das Fensterbrett zu flippen, war kaum zu glauben. Und das es tatsächlich versucht hatte durch den schmalen Schlitz nach draußen zu gelangen um ihn wieder hereinzuholen war noch unglaublicher. Aber die Situation ließ keinen anderen Schluss zu.
„Ich dachte ganz oben, da wo die Öffnung etwas breiter ist, komme ich durch“, stöhnte das Nilpferd. „Aber ich bin abgerutscht und – bums – schon saß ich fest.“ Es hatte wohl versucht sich nach oben zu drücken, war dabei aber nur weiter und fester in den Spalt hineingerutscht bis es schließlich dermaßen eingequetscht war, daß es nicht einmal mehr um Hilfe schreien konnte.
„Ich kriege keine Luft“, brachte es schwer atmend hervor.
Mit dem Superheldinnen eigenen Scharfsinn erkannte Zindy sofort, daß hier höchste Eile geboten war. Aus ihren Handinnenflächen schoss sie zwei Bananenfäden nach oben an den Rollladenkasten. Kleine Bananensaugnäpfe an den Fadenenden ließen sie dort festhaften. Sie stellte ihre Füße an den Rand der Fensterbank und stieß sich kräftig ab. Schnell die Fäden etwas eingezogen und schon kehrte sie mit Schwung zurück. Ihre Fußsohlen trafen das Nilpferd unterm Kinn, bewegten es aber kaum.
Zindy verlängerte die Fäden wieder etwas. Dann lief sie über die ganze Fensterbank und stieß sich von der Hauswand ab. Ihre Schwunggeschwindigkeit vervielfachte sich dadurch auf das Dreifache. In einem eleganten Bogen flog sie wieder auf das Nilpferd zu und dieses Mal zeigte ihr Einsatz Wirkung. Ihre vorgestreckten Fußsohlen erreichten mit voller Wucht das Nilpferdkinn. Mit einem lauten Plopp löste sich das Stofftier und fiel ins Zimmerinnere. Zindy wartete bis es sich dort aufrappelte.
„Danke“, seufzte das Nilpferd erleichtert. „Du hast mich gerettet.“ Es schob Zindy noch zwei weitere Kekse durch den Fensterspalt zu. „Aber wer bist du eigentlich?“
Zindy steckte die Kekse unter ihr Cape. „Nenn mich The Zin“, rief sie dem Nilpferd zu.
Dann schoss sie einen Bananenfaden zur nächstgelegenen Straßenlaterne und schwang sich von dannen. Und das keinen Augenblick zu früh, denn ihr nächster Einsatz wartete keine zwei Straßen weiter.
Die Tatsache, daß der kleinere der beiden Jungen fast weinte, hätte sie vielleicht nicht zum Eingreifen veranlasst. Aber dazu kam noch ein Stofftiger in misslicher Lage und dann konnte sie nicht mehr wegsehen.
„Bitte, bitte, tu ihm nicht weh!“ flehte der jüngere den deutlich älteren Jungen an.
„Wie? Du meinst, ich soll nicht so machen?“ Der verdrehte dem Tiger beide Vorderbeine zugleich.
In Zindy zog sich alles zusammen. Wie konnte er das nur machen? Und wie konnte der arme Stofftiger das nur ertragen ohne lauthals loszubrüllen?
Unbemerkt schwang sie sich auf den Ast eines Baumes keine fünf Meter von ihnen entfernt. Sie lehnte sich ein wenig zur Seite um sich besser hinter einem Blatt verstecken zu können. Das war unbequem, denn irgendetwas drückte sie in den Bauch. Sie tastete danach. Die Kekse, stellte sie fest, sind ganz schön hart.
Die Kekse sind ganz schön hart, stellte sie nochmals fest. Das war doch die Idee. Rasch holte sie alle drei Kekse unter ihrem Cape hervor und legte sie nebeneinander auf den Ast. Sie zielte nur kurz und schleuderte sie dann binnen einer Sekunde nach unten direkt auf den Kopf des älteren Jungen.
„Aua, wer? Aua. Aua“, johlte der los. „Welcher Schwachkopf bewirft mich mit …“ Er sah nach oben, wo Zindy sich längst versteckt hatte und dann zu Boden. „... mit Keksen? Wenn ich den erwische, dann setzt es was!“ Er rieb sich den Kopf mit der freien Hand und wandte sich dem kleineren Jungen zu.
„Hast du was gesehen?“ wollte er ihn anschnauzen, doch da, wo der eben noch gestanden hatte, stand niemand mehr. Er hatte Zindys Ablenkung dazu genutzt, dem anderen seinen heißgeliebten Tiger zu entreißen und war losgerannt ohne sich noch einmal umzusehen. Das Stofftier fest an sich gedrückt war er schon einige Meter weg. Das schielte über dessen Schulter nach oben und formte ein lautloses „Danke dir, …“ zu dem Orang-Utan-Mädchen.
„The Zin“, formte die ebenso lautlos zurück.
Zu dumm, daß sie die leckeren Kekse hatte opfern müssen, aber Pflicht ist eben Pflicht. Sie war schließlich eine Superheldin.
Sie blieb noch etwas versteckt im Baum sitzen bis sich auch der größere Junge verzogen hatte. Dann machte sie sich auf zu ihrem ursprünglichen Ziel, dem Spielplatz.
Dort gab es für sie nichts zu tun. Einträchtig spielten die Kinder im Sandkasten, schaukelten gemeinsam oder eroberten das Klettergerüst. Mütter saßen auf den Bänken bei einem Schwätzchen, hatten dabei jedoch immer ihre Sprösslinge im Auge. Nur eine einzige Bank war frei.
Nein, halt. Zindy sah nochmals hin. Ein einsames Stofftier lag auf der Sitzfläche. Es war wohl vergessen worden.
Zindy schwang sich sofort zu ihm. Zu Fragen brauchte sie gar nichts, denn es begann von ganz allein zu erzählen.
„Er hat mich vergessen“, schluckte es schwer. „Er hat mich verloren.“ Und dann begann das Stofflama zu schluchzen. „Mein Mensch ist wähähäg.“
Zindy setzte sich neben das Stofftier und wartete bis es sich ein wenig beruhigt hatte.
„Seine Mutter hat mit uns beiden gespielt bis wir müde wurden. Dann hat sie mich neben sich auf die Bank gelegt und den Kinderwagen geschaukelt. Als der Kleine endlich fest eingeschlafen war, ist sie einfach mit ihm nach Hause gegangen und hat mich hier zurückgelassähähän.“ Es schluchzte wieder. „Und dabei bin ich doch sein Lala!“ Das Stofflama sah Zindy mit großen Augen an. „Ich bin doch nur ganz kurz eingenickt. Was soll ich denn jetzt machen?“
Zindy wäre nicht The Zin, wenn ihr Verstand nicht schon auf Hochtouren arbeiten würde. Viel Zeit blieb ihr nämlich nicht. Wenn Mutter und Kind erst einmal in einem der Häuser verschwunden waren, war es fast unmöglich sie zu finden.
„Besondere Kennzeichen?“ fragte sie.
„Ja.“ Das Stofflama hörte sofort auf zu weinen. „Mein Mensch ist klein und süß und wenn er lacht, gluckst er.“
Na, der Hinweis half ihr unheimlich weiter. „Und sonst? Farben? Gerüche?“
Das Lama überlegte. „Sie haben Chips und Löffelbiskuit dabei.“
Das war mal ein brauchbares Detail. Zindy schwang sich sofort auf die Spitze des Klettergerüstes und checkte von dort die Gegend ab. Weit konnten die beiden noch nicht sein.
Die Straße runter war alles ruhig und die Straße rauf war alles ruhig, wenn man von der jungen Frau absah, die einen dunkelblauen Kinderwagen vor sich herschob. Zindy schaltete in ihren Intensivschnuppermodus. Der Wind kam netterweise aus der richtigen Richtung.
Etwas wie Keks, etwas wie Zucker und dazu ein zweites Aroma nach Kartoffel, Paprika und Salz wehte sanft zu ihr herüber. Für Zindy gab es keinen Zweifel. Das mussten die beiden sein.
Sie kehrte zu der Bank zurück und schnappte sich das völlig verdutzte Lama. Schwinger um Schwinger näherte sie sich dem Kinderwagen. Als sie direkt über ihm war, ließ sie das Stofftier einfach fallen und war auch schon wieder weg – zu schnell für das menschliche Auge wie sie wusste. Ein letzter Blick auf Mutter, Kind und Stofftier bestätigte sie-
„Lala“, brabbelte das Kleinkind und drückte ein überglückliches Lama an sich.
Zindy selbst kehrte zur Kirchturmuhr zurück und sah mit sich zufrieden über ihre Stadt. The Zin hatte mal wieder alles in Ordnung gebracht.
Denn wo immer einem Stofftier Gefahr drohte, wo immer ihm ein Unrecht widerfuhr oder wo immer es dabei war seinen Menschen zu verlieren, da war sie zur Stelle.
„Habt keine Angst, Stofftiere!“ rief sie in die Häuser der Stadt. „Ich wache über euch!“
„Du wachst über wen?“ fragten zwei Knopfaugen.
Gerome? Erstaunt blickte Zindy nach links und rechts. Wie? Sie lag auf ihrem Sofakissen? Sie hatte nur geträumt? Sie war gar nicht The Zin?
Irgendwie auch ein bisschen erleichtert drückte sie Gerome. Obwohl nur ein Traum war das gerade wahnsinnig aufregend gewesen. Und genau das würde sie machen, wenn sie groß war. Aber bis dahin hatte sie noch elf zwei fünfzehn Jahre Zeit. Sie musste nur noch herausfinden wie sie das mit diesen Bananenfäden hinbekam.



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