Zindy schwingt den Hammer
Im Vergleich zu ihren Erlebnissen mit Niklas, Oma Charlotte und natürlich Kisha hatte Zindy mit Mama Kathrin und Papa Daniel bisher eher wenig bis gar nichts unternommen. Die waren meistens beim Arbeiten oder in und um das Haus so beschäftigt , daß sie wohl keine Zeit für sie hatten. Papa Daniel aber hatte heute frei und das war für den kleinen Stoff-Orang-Utan eine gute Gelegenheit etwas mit ihm zu machen.
Papa Daniel war ein Heimwerker und Bastler durch und durch. Wann immer im Hause Knirps jemand seufzte „Musste das gerade jetzt kaputtgehen?“ oder „Das wäre aber praktisch!“ stand er mit fachmännischem Blick da und arbeitete an der Lösung des Problems und dabei war es völlig egal, ob es sich nur um einen Nagel in der Wand oder ein ganzes Gartenhäuschen handelte.
Heute früh war er deshalb auch besonders gut gelaunt aufgestanden und fröhlich summend im Blaumann an Frühstückstisch erschienen.
Mama Kathrin und Niklas hatten sich lachend angesehen. „Heimwerkeralarm.“ Dann hatten sie sich schnell in die Arbeit beziehungsweise in die Schule verzogen.
Papa Daniel rief Niklas noch „Nach der Schule hilfst du mir!“ hinterher, belegte sich noch ein letztes Brötchen, deckte den Tisch ab und verschwand dann in der Garage.
Wie in so vielen Haushalten gab es auch in der Knirpsschen Garage eine Heimwerkerecke mit Arbeitstisch, einem Schrank und einigen Regalbrettern, alles vom Hausherrn ordentlich befüllt, sortiert und akkurat beschriftet.
Hier warteten schon allerlei Dinge auf ihn. Auf dem Arbeitstisch stand bereits Oma Charlottes Nähkästchen, an dem ein Auszugsscharnier klemmte. An der alten Gartenschaufel daneben war der Stiel lose. Dann liefen die Rollen von Niklas Skateboard nicht rund und an einem von Mama Kathrins Gartenzwergen war beim Umstellen ein Arm abgebrochen, nicht zu vergessen Kishas Fahrrad, das mal wieder einen Plattfuß hatte. Kurz gesagt, es gab einiges zu erledigen ehe er sich seinem eigentlichen Projekt widmen konnte: Einer neuen Gartenbank.
Die alte war nämlich ziemlich in die Jahre gekommen. Zwei Kinder, viele Sommer und genauso viele Winter hatten so viele Spuren an ihr hinterlassen, dass sich keiner mehr traute auf ihr zu sitzen. Darum würde es heute eine neue geben und weil Papa Daniel ein Spitzenheimwerker war gleich als Luxusausführung mit Picknicktischchen und verstellbarer Rückenlehne.
Die Materialien samt Bauanleitung hatte er sich bereits vor ein paar Tagen im Baumarkt besorgt und sorgfältig in der Garage gestapelt. Er hatte sich erst die Anleitung, dann alle Bretter, Schrauben, die Farbtöpfe und was er sonst so gekauft hatte noch einmal angesehen. Dann hatte er sich Hammer, Schraubenzieher, Bohrer und Werkzeugkasten zurecht gelegt und das leise vor sich hin dudelnde Radio etwas lauter gestellt. Und dann hatte er losgelegt.
Irgendwann in diesem ganzen Gewusel war Zindy auf ihrem üblichen Fenster-Regenrinnen-Terrassen-Weg dazugekommen und hatte ihm vom obersten Regalbrett aus neugierig beobachtet.
Das Nähkästchenscharnier und auch den Stiel für die Gartenschaufel hatte sie bereits versäumt. Dafür beobachtete sie umso genauer wie die Skateboardrollen gereinigt und geölt wurden und der Gartenzwerg seinen Arm zurückbekam. Interessant war auch Kishas Fahrrad. Zindy lernte, dass im Reifen ein Schlauch war. Der durfte in einem Wassereimer baden. Als er Atemnot bekam und deshalb kleine Bläschen aufstiegen, lachte Papa Daniel.
„Hab ich dich gefunden, Loch“, stellte er zufrieden fest, holte den Schlauch wieder aus dem Eimer heraus und markierte die Stelle mit einem roten X. Die eigentliche Reparatur war danach ein Kinderspiel.
Papa Daniel brachte Kästchen, Schaufel, Skateboard, Zwerg und Fahrrad nach draußen. So, daß wäre erledigt. Jetzt konnte es endlich ans Vergnügen gehen.
Mit Hilfe von etwas Klebeband befestigte er die Anleitung, seine zusätzlich angefertigten Verbesserungsskizzen und ein Bild der fertigen Gartenbank an der freien Garagenwand neben den Regalen. Zindy warf einen Blick darauf und fand es sehr professionell. Dann drehte Papa Daniel das Radio noch etwas lauter und machte sich fröhlich ans Werk.
Die Bretter für die Sitzfläche und die Rückenlehne waren schnell in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht, ebenso die Standbeine und die Armlehnen. Papa Daniel schob zusammen, bohrte, nagelte und schliff ab. Keine Stunde später war schon deutlich zu erkennen, was das Ganze einmal werden sollte.
Zindy jedenfalls war schon sehr zufrieden.
Vor der Garage huschte jemand vorbei. Der kleine Stoff-Orang-Utan hätte ihn fast nicht bemerkt, doch Papa Daniel hatte Adleraugen. „Gut, daß du kommst, Niklas! Ich könnte zwei zusätzliche Hände gut gebrauchen.“
Niklas half seinem Vater normalerweise gerne, aber nach der Schule hatte er von einem Kumpel ein paar neue Songs aufs Handy gespielt bekommen, die er unbedingt gleich anhören wollte. Er brachte seine Schulsachen weg, aß schnell eine Kleinigkeit und steckte sich die Kopfhörer in die Ohren. Während sein Kopf zu Bass und Schlagzeug wippte, lauschte er halbherzig den Anweisungen und Werkzeuganforderungen seines Vaters. Am Anfang schaffte er es sogar meistens ihm zügig das geforderte zu geben. Je länger es allerdings dauerte umso unaufmerksamer wurde Niklas. Dann kam auch noch diese furchtbar wichtige Textnachricht und damit war es endgültig mit Niklas tatkräftiger Mithilfe vorbei. Er begann wie wild auf seinem Handy herum zu tippen und sah kaum noch hoch.
Zindy war sofort klar, daß jetzt ihr Einsatz gefordert war.
Papa Daniel hielt gerade mit einer Hand zwei Bretter aneinander. Mit der anderen suchte er blind nach einer Schraube, die dummerweise etwas weggerollt war.
„Niklas, ich brauche die Schraube“, meinte er zu seinem Sohn.
Der war jedoch im Augenblick viel zu sehr mit seinem Handy beschäftigt um das zu registrieren. Zindy bemerkte das natürlich sofort. In Windeseile schwang sie sich vom Regal und tippte die Schraube ein wenig mit ihrem Fuß an. Die rollte dann auch brav in Papa Daniels Hand.
„Super“, freute sich Papa Daniel. „Und jetzt den Kreuzschlitzschraubenzieher!“
Den was? Kreuzspitzverdreher? Zindy hatte keine Ahnung, was er meinte.
„Den mit dem rotgelben Griff“, kam ihr Papa Daniel freundlicherweise entgegen.
Farben kannte der kleine Stoff-Orang-Utan und so war es kein Problem auch den zu Papa Daniel zu rollen.
Nägel, weitere Schrauben, Winkel, ein Scharnier – Zindy fand alles und lieferte prompt. Lediglich mit einem Hammer hatte sie etwas größere Probleme. Nicht, dass sie ihn nicht gefunden hätte. Er war nur etwas schwer für so ein leichtgewichtiges Orang-Utan-Mädchen. Beim ersten Versuch brachte sie ihn nicht einmal hoch, beim zweiten Mal wenigstens den Stiel ein bisschen. Da Zindy aber ein sehr schlaues Stofftier war, ging sie es beim dritten Mal mit richtig Schwung an und das brachte den gewünschten Erfolg. Allerdings war der Schwung so stark, daß sie gleich einmal drei Pirouetten mit dem Werkzeug drehte ehe sie damit in die Nähe von Papa Daniels Hand kam. Sie war nur froh, daß der Hammer nirgendwo dagegen schlug.
Dass Papa Daniel oder Niklas sie dagegen entdeckten, war weiter unwahrscheinlich. Papa Daniel hatte immer etwas zu halten und Niklas bekam sowieso nichts mit.
Mit der Hilfe von Niklas-Zindy kam Papa Daniel schnell voran. Als die Gartenbank soweit fertig war und es ans Streichen ging, verzog sich Zindy wieder nach oben. Farbe und Fell vertrugen sich nämlich nicht so gut.
Papa Daniel ließ sich von dem echten Niklas Farben, Pinsel und Lappen reichen. Die Handytipporgie war anscheinend vorbei und im Gegensatz zu seinem bisherigen Engagement, das eigentlich nur aus ein paar gemurmelten „Hmm“ und „Gleich“ bestanden hatte, war Niklas beim Streichen mit Eifer dabei. Vielleicht wollte er aber auch nur sein bisheriges Desinteresse wettmachen. Jedenfalls bekam die Bank einen wirklich schönen Anstrich in gelb, orange und grün.
Die beiden traten einen Schritt zurück und betrachteten voller Stolz ihr Werk. Papa Daniel hatte ein paar grüne und orange Farbkleckse auf seinem Blaumann dazubekommen, Niklas einen gelben auf der Nase.
Papa Daniel legte Niklas einen Arm auf die Schulter. „Tolle Zusammenarbeit“, lobte er ihn. „Unsere Frauen werden zufrieden sein.“
Das fand Zindy auch. Bei ihrem nächsten Ausflug in den Garten sollte sie unbedingt Gerome mitschleppen. Dann konnten sie auf der neuen Gartenbank ein Picknick abhalten und sich dabei die Sonne auf den Bauch scheinen lassen.
Lies gleich weiter: "Zindy besucht eine Apotheke"