Zindy rockt den Skaterpark
Eigentlich hatte Zindy nur kurz nach Malaika sehen wollen. Schließlich hatte sie das kleine Stoff-Igel-Mädchen seit ein paar Tagen nicht mehr gesehen. Dann kam es aber wie so oft ganz anders.
Sie war sich sicher gewesen, dass im Stockwerk unter ihr niemand zu Hause war. Fröhlich auf dem Treppengeländer nach unten gerutscht, war sie gerade durch die offene Zimmertür geschlüpft als sie jemand die Treppe heraufpoltern hörte.
Sie musste sich dringend verstecken. Hastig sah sie sich um.
Schubladen und Schrankfächer waren gefährlich, obwohl da bei Niklas meist etwas offen stand. Aber ehe man sich versah, war man darin eingeschlossen. Im Bett oder unter dem Schreibtisch war auch keine Alternative, es sei denn man hielt sich gerne in der Nähe von getragenen Socken auf. Das einzige, was der kleine Stoff-Orang-Utan auf die Schnelle entdeckte, war Niklas kleiner Rucksack. Das große Rückenfach stand weit auf und daraus lachte sie eine Chipstüte an. Zum Überlegen war eh keine Zeit und so sprang sie rasch hinein.
Und das keine Sekunde zu früh. Kaum dass sie hinter der Chipstüte verschwunden war, stürmte auch schon Niklas in den Raum.
Der wusste ganz genau, was er wollte. Er hob nacheinander eine Jacke, ein Sweatshirt und eine Jeans hoch und warf alles auf sein Bett. Er packte den so freigelegten Skaterhelm und setzte ihn auf den Kopf. Der Riemen war schnell zugezogen. Sein heiliges Board nahm er aus der Halterung an der Wand und griff dann nach ausgerechnet dem Rucksack, in dem Zindy steckte. Er zog den Reißverschluss zu und steckte das Board zwischen Trageriemen und Rückenteil. Mit Schwung landete alles auf seinem Buckel und schon war er bereit. Im Vorbeirennen rief er Mama Kathrin noch etwas zu. Dann war er auch schon draußen vor dem Haus. Er schnappte sich sein Fahrrad und ehe Zindy sich versah, war sie auf dem Weg nach irgendwohin.
Lange dauerte die Fahrt nicht. Kaum dass sich Zindy an Niklas Fahrstil gewöhnt hatte, bremste der zackig ab. Was mit dem Fahrrad geschah, sah Zindy nicht. Wahrscheinlich ließ Niklas es achtlos ins Gras fallen. Der Rucksack landete auf einer Holzbank. Der Reißverschluss wurde wieder aufgezogen und Niklas Hausschlüssel neben Zindy gestopft.
Zindy war noch am Überlegen, ob sie es wagen konnte ihren Kopf herauszustrecken, als ihr die Entscheidung einfach abgenommen wurde.
Eine Hand griff in den Rucksack. Sie berührte erst Zindy, dann die Chipstüte. Die wurde unter lautem Knistern herausgezogen und zu ihrer Überraschung kehrte sie noch einmal zurück und holte auch Zindy aus dem Rucksack.
„Was willst du denn damit?“ Die Augen eines Jungen in Niklas Alter starrten sie an. „Stehst du neuerdings auf Stofftiere?“
Niklas lachte Zindy und seinen Kumpel gleichermaßen an. „Das war bestimmt meine Schwester. Das Äffchen gehört nämlich ihr. Die meint wohl, dass mir das peinlich ist. Aber da irrt sie sich gewaltig.“ Er nahm seinem Kumpel das kleine Stoff-Orang-Utan-Mädchen aus der Hand. „So ein Quatsch, nicht, Zindy? Du wolltest doch bestimmt schon immer mal auf einen Skaterpark.“
Skaterpark, staunte Zindy. Cool. Aus den Augenwinkeln linste sie umher und das, was sie sah, war mehr als cool.
Es gab halbe Betonschüsseln, niedrige Geländer, eine breite Holzwippe und allerlei andere Hindernisse. Etwa ein Dutzend Jugendlicher waren aktuell da und die zeigten wirklich fette Sachen auf ihren Boards.
„Wir sollten ein paar Schnappschüsse mit ihr machen und sie posten“, schlug Niklas vor. „Mädels stehen auf so etwas und meine Schwester wäre ruhiggestellt.“
„Dann braucht sie aber einen Helm.“ Niklas Kumpel begann in seinem Rucksack zu kramen. „Da muss doch noch etwas Alufolie sein.“
Zindy vermutete, dass er einen genauso großen Saustall in seinem Rucksack hatte wie Niklas in seinen Sachen, aber schließlich fand er das Gesuchte. Drei Minuten später hatte sie einen Helm aus Aluminiumfolie auf dem Kopf. Als Riemen diente ein kleiner Gummi.
„Steht ihr“, grinste Niklas Kumpel sie an, und sicherer ist es auch.“
Zindy war sich da nicht so sicher. Wusste der denn nicht, dass Stofftierköpfe vor Beton keine Angst hatten? Andererseits hielt der Helm natürlich den Dreck von ihrem Fell fern.
Die Jungs jedenfalls waren mit ihrem Aussehen sehr zufrieden und tüftelten bereits an den besten Stellen für Zindys Fotoshooting. Satt ging das natürlich viel besser und so wurde die Chipstüte aufgerissen. Als die halb leer war, stand endlich die Abfolge fest. Niklas packte sein Board mit der einen und Zindy mit der anderen Hand und dann ging es auch schon in die Bahn.
Zuerst fuhr er zum Aufwärmen zwei, drei Male gemütlich durch die verschiedenen Bereiche der Skateranlage. Dann wurde es ernst.
„Immer frech in die Kamera grinsen“, erklärte Niklas Zindy. „Das gibt die besten Bilder.“ Und er legte los.
Kreuz und quer ging es durch und über die Hindernisse. Zindy fest im Griff nahm er Geschwindigkeit auf. Eine scharfe Kehre und schon raste er auf seinen Kumpel zu, nur um im letzten Augenblick mit einem gekonnten Sprung die Richtung zu wechseln.
„Nice“, applaudierte Niklas Kumpel. „Jetzt mal ein paar Grabs.“
Das ließ sich Niklas nicht zweimal sagen und auch Zindy, die anfangs ob Niklas Skateboardkünsten etwas skeptisch gewesen war, fand immer mehr Gefallen an der wilden Fahrt.
Niklas machte einige Sprünge, bei denen er mit der freien Hand an das Board griff. Er ließ das Board sich unter seinen Füßen drehen, schoss vor und zurück und rutschte sogar ein Geländer herunter. In der Halfpipe machte er gar so verwegene Sprünge, dass die anderen Jugendlichen stehen blieben und Zindy und ihm zusahen. Manchmal sprang er so hoch und drehte sich dabei so gekonnt, dass Zindy Himmel und Erde zugleich sah. Als er schließlich eine kurze Verschnaufpause einlegte, klatschten sogar ein paar.
„Hast du was Brauchbares?“ fragte Niklas seinen Kumpel.
Der lachte nur. „ Da kannst du Gift drauf nehmen. Noch schnell ein Selfie mit dem Affen und wir können posten.“
„Sie heißt Zindy“, verbesserte Niklas seinen Kumpel. „Mach das bloß nicht falsch.“
Sekunden später war das Foto geschossen und wurde anschließend mit einem Dutzend weiterer Bilder gepostet, von denen eines besser als das andere war. Zindy fand sich selbst spektakulär und auch Niklas sah ganz passabel aus.
„Hey, wir haben schon neun Likes bekommen“, stellte Niklas bald darauf fest. „Dabei sind die Bilder doch erst fünf Minuten im Netz.“ Er hielt Zindy sein Handy unter die Nase. „Schau, Zindy, lauter Herzen. Du warst aber auch zu cool.“
Ja, cool war sie wirklich gewesen und die Zahl der kleinen roten Herzen war auch schon wieder gestiegen. Das musste sie später unbedingt Gerome erzählen.
„Schau mal, wer da kommt, Niklas“, rief Niklas Kumpel plötzlich begeistert und deutete auf zwei Mädchen, die sich der Skateranlage näherten. „Los!“ stupste er Niklas an. „Lass uns ein paar Tricks vorführen!“
Er verstaute sein Handy und setzte Zindy neben ihre Jacken und Rucksäcke auf die Bank. Dort standen auch ihre Getränke sowie die offene Chipstüte.
„Sie wird sie schon nicht leer essen“, meinte er leichthin.
Zindy fand das sehr mutig. Das Skaten hatte sie doch ziemlich hungrig gemacht. Ein oder zwei Scheiben Chips würde sie bestimmt verdrücken.
Vielleicht sogar drei.
Lies gleich weiter: "Zindy kauft eine Brille"