Zindy macht ein Praktikum
Beim Abendessen im Knirpsschen Esszimmer ging es heute so heiß her, daß Zindy zum Nachsehen nach unten kam. Niklas sollte von der Schule aus ein zweiwöchiges Praktikum machen und jeder in der Familie wusste anscheinend, was das Beste für ihn war.
Zindy kannte so ein Praktikum. Das hatten sie auch einmal in der Stofftierfabrik gehabt. Die Tochter einer Näherin war für ein paar Tage da gewesen. Am zweiten Tag sollte sie das Lager fegen, hatte aber stattdessen die Stofftiere gebürstet und gekämmt. Am Ende hatte sie sich sogar ein Stofftier mit nach Hause nehmen dürfen. Madeleine aus der Box der Einhörner war die Glückliche gewesen. Gespannt wartete Zindy daher, was nun weiter geschehen würde.
Papa Daniel und Kisha dachten natürlich sofort an eine Beschäftigung in der Finanzbranche, aber Niklas fand das nur zum Gähnen.
Mama Kathrins Vorschlag fand auch nicht mehr Anklang. Sie hätte ihn gerne bei dem Mann einer Freundin untergebracht. Der war Hals-Nasen-Ohren-Arzt. Doch bevor Niklas sich die verschnupften und verstopften Riechorgane anderer Menschen ansehen würde, musste noch viel geschehen.
„Mein Richard war Schreinermeister“, sagte Oma Charlotte schließlich. „Ich könnte in seinem alten Betrieb mal fragen.“
Niklas winkte jedoch auch hier ab und präsentierte der versammelten Familie seinen heute schon klar gemachten Praktikumsplatz: Er würde Achterbahnen bauen.
Die Knirpse hatten mit vielem gerechnet. Vom Kindergarten über die Feuerwehr bis hin zum Scheidungsanwalt, aber das überraschte sie doch alle. Niklas hatte zwar immer gerne Modellautos zusammengebaut um sie dann mit seinem besten Freund an der nächsten Mauer zu Schrott zu fahren. Trotzdem wäre darauf nie einer gekommen.
„Achterbahnen?“ fragte Mama Kathrin nach. Vielleicht hatte sie sich ja verhört.
„Ja“, strahlte Niklas.
„Diese verrückten Konstruktionen, bei denen man so lange rauf und runter und über den Kopf fährt bis man nicht mehr weiß, wo das Hirn und wo der Magen wohnt? Oma Charlotte wirkte durchaus angetan. „Respekt.“
„Genau, Oma“, pflichtete Niklas ihr bei. „Ihr bracht euch um nichts mehr zu kümmern. Ich hab schon alles geregelt.“
Das hatte er auch. Mit dem Ingenieurbüro in der nächstgrößeren Stadt verkehrte er wohl schon seit Monaten per Mail. Die waren von seinem Engagement begeistert und boten ihm gerne das gewünschte Praktikum an und zahlten ihm obendrein sogar noch das Zugticket.
„Nächste Woche geht es los. Ich brauche nur hier noch eine kleine Unterschrift.“ Er hielt Papa Daniel ein Blatt hin.
Der war so verblüfft, daß er einfach unterschrieb.
Achterbahn also. Zindy kannte die aus dem Fernsehen. Achterbahn war wie vom Rand in die Badewanne rutschen. Nur etwas größer, wilder und gefährlicher. Also grundsätzlich etwas für sie. Mama Kathrin schaute zwar etwas besorgt, aber wenn sie dabei war, konnte Klein-Niklas nichts passieren. Sie durfte nur nicht verschlafen. Sicherheitshalber quartierte sie sich deshalb bereits am Abend davor in seinem Rucksack ein und stand oder vielmehr saß nach einer kurzen Zugfahrt und einem kleinen Spaziergang zusammen mit Niklas vor einem großen Bürogebäude.
Darin waren viele Unternehmen untergebracht. Rein durfte nur der, der in einem davon arbeitete oder einen Termin hatte. Dafür sorgten ein Wachmann und eine Frau hinter einem kleinen Schalter. Dort musste Niklas seinen Schülerausweis vorlegen und bekam kurz darauf ein Plastikkärtchen mit seinem Namen und seinem Bild. Damit würde ihm für die nächsten zwei Wochen Einlass gewährt werden. Er erhielt ein cooles Band um es sich um den Hals zu hängen. Zindy fand, daß er damit sehr wichtig wirkte. Dann holte sie jemand ab und sie fuhren mit einem Aufzug einige Stockwerke nach oben.
Das Ingenieurbüro erstreckte sich über zwei Stockwerke. Niklas bekam einen kleinen Schreibtisch zugewiesen, legte seine Sachen ab und durfte erst einmal zum Chef persönlich. Zindy öffnete derweil den Rucksack und sah sich neugierig um.
Es gab viele Schreibtische, noch mehr Computer, riesige Bildschirme und Zeichenbretter, Büroschränke und – geräte und drei große Kästen, in die man hineinsitzen konnte. Alle waren furchtbar beschäftigt und eilten hin und her oder tippten wild auf irgendwelchen Tastaturen herum. An einer Seite stand eine High-Tech-Kaffeemaschine, die anscheinend alles konnte, und ein Teller mit Keksen. Als Niklas zurückkehrte, durfte er zur Einstimmung gleich mal eine Runde Kaffee machen. Brasilianischer Karamellchino mit Hafermilch, doppelter Latte-Fratte-Tatte oder Bielefelder Boosterbohne – Zindy wurde schon bei den Namen schwindelig. Aber Niklas schien es zu meistern und durfte zur Belohnung mit an ein Zeichenbrett.
Dort ging es um Flieh- und Fallkräfte, Loopings und Kurvenausläufe und anderen Kram aus Physik und Mathematik. Mit Füsik hatte Zindy im Vergleich zu Niklas gar nichts am Hut. Mathematik lag ihr dagegen deutlich mehr. Schließlich konnte sie ja bis 14 zählen. Trotzdem verwirrte sie das Ganze doch ziemlich und sie holte sich schnell einen Keks.
Dann durfte Niklas einen Plan kopieren, was Zindy deutlich mehr zusagte. Niklas war schnell damit fertig und längst an seinem Schreibtisch zurück, wo er sich an ein paar Berechnungen versuchen sollte. Zindy aber war noch immer am Kopierer.
Die Klappe war noch auf. Der kleine Stoff-Orang-Utan drückte schnell auf den richtigen Knopf und setzte sich dann auf die Glasfläche, auf der normalerweise die zu kopierenden Blätter lagen. Nur Sekunden später spuckte das Gerät eine perfekte Kopie von Zindys Hinterteil aus. Zindy sah das Blatt stolz an. Sie hatte wirklich einen tollen Popo. Um die anderen auch daran teilhaben zu lassen, fertigte sie gleich noch fünf weitere Kopien an.
Am Nachmittag durfte sich Niklas am Design eines Achterbahnwagens versuchen. Das war auch für Zindy sehr spannend. Er benutzte dafür ein Computerprogramm, das ihm mehr Vorschläge anbot als alle Stofftiere zusammen, die Zindy je in ihrem Leben gesehen hatte.
Aufbau, Aufhängung, Sicherheit. Dazu Anzahl der Insassen und dann das Aussehen selbst. Gruselig oder lustig. Mehr wie ein Sessel oder hängend oder doch lieber liegend. Es gab so viel auszusuchen, dass Niklas nach zwei Stunden noch lange nicht fertig war. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er gar nicht merkte, dass einer der Ingenieure neben ihn trat und seine Gestaltung und seinen Eifer mit Freude beobachtete.
„Zeit für etwas Spaß, Niklas“, sagte er nach einer Weile. Zindy, die inzwischen schräg hinter ihm saß, beobachtete er dabei nicht weiter. Schließlich hatte fast jeder im Büro ein paar Bilder, eine Topfpflanze, eine Comicfigur oder sonst etwas auf seinem Schreibtisch stehen. Er ging mit Niklas zu einem der großen Kästen.
Wie sich herausstellte waren das keine langweiligen Kisten und auch keine Betten für den Büroschlaf. Nein, es waren Simulatoren. Zindy hatte keine Ahnung was das war, aber schon das Wort war spannend und man konnte lustige Reime damit machen. Simulatoren. Schmalz in den Ohren.
Lange konnte sich Zindy damit aber nicht aufhalten. Der Simulator war nämlich eine Ich-fahr-Achterbahn-Maschine. Man setzte sich rein, durfte sich anschnallen und dann ging die wilde Fahrt auch schon fast los.
Von vorne wurde einem Luft ins Gesicht geblasen. Mittels einer 3-D-Brille fühlte man sich wirklich wie in einem Achterbahnwagen und über Kopfhörer wurden obendrein noch die passenden Geräusche eingespielt.
Niklas war hellauf begeistert und durfte sich mehrere Fahrten durch verschiedene Bahnen genehmigen. Dann wurde er wieder am Kopierer gebraucht.
Darauf hatte Zindy nur gewartet. Sie hatte ihn schließlich genauestens beobachtet und wusste wozu die wenigen Knöpfe dienten.
Kobra-Coaster, nimm dich in Acht! Jetzt kommt Zindy!
Kopfhörer und Brille waren etwas groß und anschnallen für einen Superaffen sowieso überflüssig. Sie drückte ein paar Knöpfe und schon konnte es losgehen.
Zuerst sah Zindy nur Himmel als der Wagen ratternd nach oben fuhr. Irgendwer schrie in ihr linkes Ohr. Ein Angsthase, kicherte sie. Dann stellte sich der Wagen in die Waagerechte und stoppte, aber nur für zwei Sekunden. Wie in Zeitlupe schob er sich vorwärts und kippte dann schräg nach vorn. Der Wagen raste los.
Zindy blies es den Fahrtwind ins Gesicht. Dann kam auch schon der erste Looping. Zindy suchte etwas zum Festhalten. Doch da war nichts. Schrauben folgten, Korkenzieher und noch mehr Loopings. Es ging über Kopf, stark zur Seite geneigt und irgendwie verdreht. Mittendrin registrierte Zindy, daß der Keks nach außen wollte. Vielleicht war die Fahrt doch ein klein wenig aufregender als sie gedacht hatte. Ihre Augen waren weit aufgerissen und ihr Herz schlug wie wild. Nur geschrien hat sie nicht.
Als die endlos lange Fahrt nach zweieinhalb Minuten endlich vorbei war, ließ sich Zindy erst einmal einfach nur umfallen. Es war gut, daß gerade niemand anderes den Simulator benutzen wollte. Sie brauchte nämlich etwa bis sich ihr Kopf nicht mehr drehte und ihr Magen sich beruhigt hatte.
Auf dem Rückweg zu Niklas Schreibtisch hätte sie zwar locker an der Kaffeemaschine vorbei schwingen können. Aber der Keks von vorhin war ihr vorerst genug. Ein Stoff-Orang-Utan musste ja auch an seine Figur denken!
Den Rest des Arbeitstages ließ Zindy sehr ruhig angehen. Sie legte sich in Niklas Rucksack und dachte über weitere Praktika für Kishas Bruder nach. Sie hätte da ein paar Vorschläge.
Konditor zum Beispiel.