Zindy forever
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Zindy und das Bayerische

 

Manches an diesem Bayern fand Zindy auch nach einer ganzen Weile noch etwas sonderbar und damit meinte sie nicht nur die Sprache.
In Berlin sagte man „Guten Tag!“ und hier „Grüß Gott!“. „Bulette“ war ein „Fleischpflanzerl“ und wer dort „Icke“ sagte, sagte hier „I“. Es gab viele Kühe, der Himmel war immer weiß-blau und früher trug man stets Dirndl oder Lederhose. Zum Frühstück gab es Weißwürste mit süßem Senf, am Mittag meist Schweinshaxen mit Knödel und dazu eine Maß Bier. Ein gewisser FC Bayern München wurde immer Fußballmeister und auf Festen tanzte man etwas, das sich Schuhplattler nannte. Zindy gefiel dieser Tanz. Man hüpfte lustig herum und schlug sich und andere auf die Oberschenkel, die Schuhe und den Po. Es gab nur einen Haken daran. Die Musik war stark gewöhnungsbedürftig.
Bis zum Jahr 1918 hatte es in Bayern einen König gegeben und von einem schwärmte man noch heute. Der war zwar irgendwie etwas verrückt gewesen, aber das durften nur Bayern sagen. Alle anderen waren nämlich Preußen und hatten deshalb keine Ahnung.
Als nun im Hause Knirps der Großmutter-Mutter-Tochter-Tag anstand horchte Zindy auf. An diesem Tag, der ein- bis zweimal im Jahr stattfand, unternahmen Oma Charlotte, Mama Kathrin und Kisha üblicherweise einen Ausflug und die Männer waren froh, daß sie nicht mitfahren mussten. Zoobesuch, Freizeitpark oder Wandern in den Bergen waren in ihren Augen ja noch ganz in Ordnung, aber bei Weihnachtsmarkt, Musicalbesuch oder gar Wellnesstag hielt sich ihre Begeisterung in Grenzen.
Heute sollte es auf Oma Charlottes Wunsch die Insel Herrenchiemsee sein, denn dort hatte ihr König Ludwig II. eines seiner Märchenschlösser erbauen lassen. „Es sollte ein Abbild von Versailles werden“, hatte Oma Charlotte betont als sie den beiden anderen ihr Ausflugsziel schmackhaft machen wollte, „aber leider hat es der Kini nie vollendet gesehen. Ihr habt es da besser.“ Sie grinste ihr spitzbübisches Oma Charlotte Lächeln. „Und außerdem können wir mal wieder unsere Dirndl tragen.“
Spätestens jetzt war Zindy klar, daß sie an diesem Ausflug teilnehmen musste. Sie würden ein Königsmärchenschloss besuchen. Ganz genau wusste sie eigentlich nicht, was das war. Ein Schloss? Nur, das es unheimlich toll sein musste. Sie würde mehr über diesen Kini erfahren, in den Oma Charlotte ganz offensichtlich wohl ein klein wenig verliebt war. Und sie würde die weiblichen Knirpse im Dirndl sehen. Okay, nur zwei davon. Kisha hatte nämlich bereits mit sieben Jahren sehr zum Leidwesen ihrer Mutter beschlossen zukünftig weder Röcke noch Kleider zu tragen und daran hatte sich bis heute nichts geändert.
Nach einer gut zweistündigen Autofahrt bestiegen die drei ein Schiff, das sie zur Insel bringen würde. Die Überfahrt selbst war schnell vorbei, was einem gewissen Stoff-Orang-Utan mehr als recht war. Der hatte sich nämlich heimlich in Kishas Tagesrucksack versteckt und vom Schaukeln des Schiffes war ihm ein klein wenig übel geworden.
Keine zwanzig Minuten später war es mit dieser Heimlichkeit allerdings vorbei. Vor dem Betreten des Schlossgeländes mussten größere Taschen weggesperrt werden, kleinere wie Kishas Rucksack wurden kontrolliert.
Gelangweilt öffnete Kisha den Reißverschluss und staunte nicht schlecht was der ältere Herr an der Kontrolle zu Tage förderte. Zwischen Keksen, einem Pullover und ihrem Geldbeutel zog er ein ihr gut bekanntes Stofftier hervor.
„So lassn’s doch den Aff rausschaung“, sagte er freundlich. „Wegn der Luft.“ Netterweise platzierte er Zindy auch gleich passend. „Fui Schbass dann.“ Er wandte sich der nächsten Tasche zu.
Zindy strahlte. Obenauf, sicher und alles im Blick – etwas Besseres hätte ihr nicht passieren können. Gleich würde sie ihre allererste Schlossführung bekommen.
Liebevoll betrachtete sie ihre drei Knirpse. Mama Kathrin hatte bei Zindys Anblick zwar leicht gezuckt und Kishas Beteuerungen, wonach sie nicht wisse, wie der Orang-Utan in den Rucksack gekommen sei, keinen Glauben geschenkt. Aber Zindy hatte das in ihrem Glück nicht bemerkt. Für sie sah Mama Kathrin in ihrem rosa-oliv-weißen Dirndl einfach umwerfend aus. Oma Charlottes Dirndl war braun und silbern und nicht minder schön. Was schließlich Kisha anging, so war dieser Stilbruch in Zindys Augen einfach nur affenstark. Turnschuhe, Lederhose und oben ein schwarzes T-Shirt, bedruckt mit der berühmten Stones-Zunge.
Sie gingen den langen Paradeweg durch den Schlossgarten zum eigentlichen Schloss entlang. Zindy wusste gar nicht, wo sie zuerst hinsehen sollte. Links und rechts sah sie akkurat geschnittene Sträucher, gepflegte Rasenflächen und in den langgezogenen Blumenbeeten blühten Tausende von Stiefmütterchen in sattem Gelb oder Blau. Sie spazierten direkt auf einen imposanten Brunnen zu. Dahinter waren noch zwei große Teiche angelegt worden und dann standen sie vor dem Schloss.
Zindy war sich sicher noch nie etwas so schönes gesehen zu haben bis sie, ja, bis sie das Schloss betraten. War sie draußen schon begeistert gewesen, so war sie jetzt schlichtweg überfordert. Das Prunktreppenhaus, von dem man in die oberen Räume gelangen konnte, war so gewaltig, daß Zindy noch lange nicht mit dem Schauen fertig war als die Führung schon in den oberen Räumen weiterging. Die Farben, die Formen, die Ausdehnungen. Es gab hier unendliche Möglichkeiten für einen kleinen Stoffaffen zum Schwingen und Rutschen, denn für was sonst waren die vielen Statuen und Geländer eingebaut worden.
Vier Räume weiter im Paradeschlafzimmer hätte sie gerne das vergoldete Bett ausprobiert, aber die Schlossführerin betonte immer wieder, daß man nichts berühren dürfte und Zindy war schließlich ein folgsamer Affe. So bestaunte sie nur mit offenem Mund die vielen Schnörkel und Verzierungen. Ganz besonders hatte es ihr auch der Kronleuchter angetan. Bestimmt würde es lustig klingen, wenn man ihn zum Schaukeln brachte.
In der Großen Spiegelgalerie war für Zindy jede Erläuterung überflüssig. Sie sah sich um und sah sich überall. Da sie sowieso keiner beachtete, wagte sie es einmal königlich zu winken und fünfzig zwei dreiundsechzig Zindys winkten ihr zurück.
Es ging noch durch viele weitere Räume und Zindy kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Zimmer, die unendlich wirkten. Geheimtüren, die perfekt in der Tapete versteckt waren. Tische, die im Boden verschwanden und gedeckt wieder zurückkehrten – dieser Ludwigkönig hatte wirklich coole Sachen gehabt.
Nach der Führung durch das Schloss wollte Oma Charlotte noch in das im Erdgeschoss des Südflügels beheimatete Museum. Hier gab es zahlreiche Portraits, Büsten und Fotografien aus dem kurzen Leben Ludwigs II. Seinen Bart und die Haare fand Zindy etwas albern, aber auf der Schleppe seines Mantels hätten bestimmt alle Stofftiere aus dem Kaufhausregal Platz gefunden. Modelle all seiner Schlösser waren ebenso vorhanden wie Originalmöbel. Oma Charlotte war von allem so begeistert, daß Kisha und Mama Kathrin sie im anschließenden Souvenirgeschäft bremsen mussten. Ansonsten hätte sie wahrscheinlich den halben Laden leer gekauft. So beschränkte sie sich dann auf ein Buch, eine Tasse und ein Kissen. Beinahe hätte sie auch noch ein Puppendirndl für den Stoffaffen genommen, aber das einzige, das in etwa Zindys Größe hatte, ließ Kisha blitzschnell verschwinden, was für Mama Kathrin und Zindy gleichermaßen gut war.
Stattdessen lud Oma Charlotte zum Abschluss des Tages Tochter und Enkelin noch in eines der Cafes ein und schwärmte dabei weiter von ihrem Kini. „Und deine Zindy“, sagte sie zu Kisha, „ist jetzt auch eine richtige Bayerin.“
Zindy hörte nur noch mit einem Ohr zu. Die vielen neuen Eindrücke hatten sie doch sehr müde gemacht. Sie hatte nicht einmal mehr so richtig Hunger, obwohl vor Kisha eine große Eisportion „Bananensplit“ stand.
„Mia san mia“, murmelte sie noch ehe sie ins Land der Träume hinüber glitt.



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