Zindy forever
Die  Seite für Freunde von Zindy & ihren Geschichten und alle, die Stofftiere lieben
 
 
 

Zindy weiß nicht, was sie werden will

 

 

Jeden Werktag war es dasselbe. Die Knirpse verließen einer nach dem anderen das Haus.

 Niklas mit seinen sechzehn Jahren war natürlich noch Schüler. An der Geschwindigkeit, mit der er sich jeden Morgen auf den Weg zur Schule machte, konnte man ablesen, ob er heute wenig, ganz wenig oder gar keine Lust hatte.
Kisha, so wusste Zindy, machte eine Ausbildung in einer Bank. Für den kleinen Stoff-Orang-Utan hörte sich das unheimlich langweilig an. Mit Karten, Konten und Krediten konnte sie nichts anfangen und den Sinn von Akazien – Kisha sagte eigentlich Aktien – verstand sie eh nicht. Mal waren sie hoch oben und das war irgendwie falsch. Dann wieder waren sie tief unten und das war auch irgendwie falsch. Sie persönlich würde sie einfach in die Mitte legen. Nur eines an dieser Banksache fand sie lustig. Wenn man eine Nummer sagte bekam man bunte Papierschnipsel, die man zum Beispiel gegen Bananen eintauschen konnte.
Von Mama Kathrins und Papa Daniels Arbeit hatte Zindy bisher nur wenig mitbekommen. Nur daß es furchtbar stressig sein musste, denn am Abend vielen häufig die Worte: „Heute war mal wieder besonders viel los!“ Und dann durfte man sie erst einmal zehn Minuten lang nicht stören.
In der Stofftierfabrik hatte ihnen das Schwein Was-auch-immer eingetrichtert, daß es die Hauptaufgabe eines jeden Stofftieres war seinem Menschen in allem zu unterstützen. Nur wenn der eben bei der Arbeit war, war man als Stofftier zu Hause zur Untätigkeit verdammt und sollte so wie sie jetzt doof auf dem Sofa sitzen und warten. Zindy fand, daß da ein Nebenjob nicht schlecht wäre. Darum ging sie gerade jeden durch, den sie kannte.Zuerst fiel ihr Nina ein. Nina war Kishas beste Freundin. Sie machte irgendetwas mit Zähnen. Löcher rein. Löcher raus. Löcher zu. Dann zusammenkleben, anmalen und etwas verkleiden. Das Orang-Utan-Mädchen fand allein die Vorstellung gruselig. Bestimmt biss da manchmal auch einer zu.
Faultier Heiner hatte schon in der Stofftierfabrik verkündet, was er später machen werde. „Ausguck.“ Schließlich wählten Faultiere seit Generationen diesen Beruf. Hoch oben in den Bäumen hatten sie einen hervorragenden Rundumblick und im vierten Stock auf dem Balkon von Stefanies kleiner Wohnung war der auch nicht schlecht.

Was Stefanie arbeitete war Zindy nicht bekannt. Aber in Berlin ging eigentlich alles.
Vielleicht sollte sie sich ja an Gerome wenden. Für gewöhnlich fragte zwar das Schaf immer sie um Rat und die Tatsache, daß es gerade neben ihr mit seinem Po eine neue Kuhle in ein Sofakissen formte, gab auch keinen Anlass dazu, auf Hilfe zu hoffen.
Umso überraschender war es für sie, daß er auf die Frage nach seinem Berufswunsch gleich eine Antwort parat hatte. 
„Rasenmäher“, kam es wie aus der Pistole geschossen. „Wenn ich groß bin werde ich Rasenmäher.“
Rasenmäher? Was sollte denn das für ein Beruf sein?
Als ob er ihre Gedanken lesen konnte erklärte Gerome ihr das auch gleich. „Den ganzen Tag lang fressen und dafür noch Geld kriegen. Klingt einfach, ist aber anstrengend, sehr anstrengend. Es soll ja gleichmäßig werden und ab und an soll man auch noch ein paar Blumen stehen lassen.“ Er gähnte. „Ich glaube, ich sollte gleich einmal etwas vorschlafen.“ Die neue Kuhle war offensichtlich fertig, denn er ließ sich zufrieden fallen und war binnen Sekunden eingeschlafen.
Na super, dachte Zindy. Nach Gerome blieb ihr jetzt nur noch Bruno.
Bruno, der Bär, lebte unten in der Einliegerwohnung bei Oma Charlotte. Bei den paar Gelegenheiten, bei denen sie dort gewesen war, hatte sie ihn noch nie etwas anderes als Herumsitzen sehen. Selbst Gerome war gegen ihn sportlich.
Oma Charlotte hatte sie vorhin zum Einkaufen aufgemacht. Somit hatte Zindy freie Bahn. Über das gekippte Wohnzimmerfenster ging es nach draußen und unten über ein weiteres halboffenes Fenster wieder rein. Wie von ihr vermutet saß Bruno auf dem Sofa und starrte auf den ausgeschalteten Fernseher.
Das kleine Orang-Utan-Mädchen hielt sich nicht lange mit Höflichkeiten auf, sondern kam gleich zum Thema.
„Du? Was arbeitest du eigentlich?“ fragte sie vorsichtig.
„Arbeiten?“ brummte Bruno. „Oma Charlotte sagt, wir arbeiten nicht. Wir sind Rentner.“ Er drehte den Kopf zu ihr. „Wir gehen es gaaanz langsam an.“
Zindy gab noch nicht auf. „Und früher?“
„Früher. Früher war ich Sofatester.“
„Das ist doch kein Beruf“, schüttelte Zindy den Kopf.
„Wenn du meinst“, brummte Bruno nur und sah wieder geradeaus. „Was war nochmals genau dein Beruf?“
Da war es wieder, ihr Problem. „Ich weiß nicht, was ich werden will“, murmelte sie ziemlich verlegen. Sonst so vorlaut war es ihr jetzt peinlich, daß anscheinend alle außer ihr einen Beruf hatten oder zumindest wussten, was sie werden wollten.
„Hm.“ Bruno überlegte und wie es so seine Art war tat er das mit Bedacht. „Hm.“ Dann folgte eine so lange Pause, daß Zindy schon dachte, er sei eingeschlafen. War er aber nicht. Bruno überlegte eben nur sehr genau. Nach einer kleinen Ewigkeit drehte er ihr wieder den Kopf zu. „Was kannst du denn am besten? Das solltest du bei deiner Berufswahl berücksichtigen.“ Damit war das Gespräch für ihn beendet. Er drehte den Kopf wieder nach vorn und begann zu summen. „I’m an absolute beginner …“
Zindy fragte sich, ob es Zufall war, daß er gerade dieses David-Bowie-Lied anstimmte. Zugegeben, er hatte Recht. Sie war ein Anfänger, aber seine letzte Frage half ihr immerhin ein Stückchen weiter.
Etwas, das sie gut konnte? Das war ein guter Ansatz. Während sie sich wieder auf den Weg nach oben machte, überlegte sie fieberhaft. Da gab es so vieles, was sie gut konnte. Schlafen zum Beispiel. Oder viel essen. Im Unfug machen war sie auch ganz groß. Und sie konnte tolle Geschichten erzählen. Das sagte zumindest Gerome und der würde sie nie anlügen. Dann versuchte sie noch jedem im Hause Knirps so gut sie es eben konnte zu helfen. Sogar den haarigen Monstern und das waren nicht gerade ihre besten Freunde.
Inzwischen war sie wieder oben auf dem Fensterbrett am Wohnzimmer angekommen. Sie sah kurz durch die Scheibe hinein. Bequem in seine Kuhle gekuschelt schlief Gerome noch immer. Um ihn nicht zu wecken versuchte sie besonders leise hinein zu schwingen.
Schwingen? Das war es. Schwingen konnte sie am allerbesten. Mit zwei Armen. Oder zwei Beinen. Oder einem Arm und einem Bein. Vorwärts. Rückwärts. Seitwärts. Quer durch den Raum. Sogar mit zwei bis drei Überschlägen und dem Kopf nach unten, was immer besonders verwegen aussah.
Nur wer konnte diese Fähigkeit gebrauchen? Zindy grübelte angestrengt.
Turner. Zirkusartisten. Diebe auf der Flucht. Oder? Oder vielleicht …
Superhelden.
Superheld? Sie wurde ganz aufgedreht bei dem Gedanken. Superheld. War Spider-Man etwa nicht der König aller Schwinger? Erst neulich hatte sie in einem Film gesehen wie er majestätisch an seinen Spinnenfäden zwischen den Wolkenkratzern von New York hindurchschwang. Siebenundneunzig zwei sechzehn Menschen hatte er aus einem brennenden Hochhaus gerettet und dafür vom Bürgermeister persönlich eine Urkunde erhalten. So etwas wollte sie auch.
Voller Stolz betrachtete sie ihre langen starken Arme. Dann machte sie ein paar Trockenübungen. Aufwärmen schadet schließlich nie. Vor und zurück und kreisen lassen; erst mit beiden Armen in die gleiche, dann in die entgegengesetzte Richtung. Perfekt, Zindy, lobte sie sich. Ja, schwingen konnte sie wie kein Zweiter.
Sie brauchte nur noch einen Superheldennamen und ein passendes Kostüm und schon konnte sie loslegen. Zindy beschloss über die Details gleich noch weiter nachzudenken.
Hier. Auf ihrem Sofakissen. Eingewickelt in ihre Kuscheldecke.
Und weil Nachdenken manchmal sehr müde macht, schlief sie alsbald dabei ein.

 

 


Lies gleich weiter: "Zindy alias "The Zin"