Zindy, das Burgfräulein
Wart ihr schon einmal auf einem Mittelaltermarkt? Nein? Nun, Zindy auch nicht, aber das würde sich heute ändern. Die beiden Freundinnen Kisha und Nina hatten sich nämlich verabredet um gemeinsam einen solchen Mittelaltermarkt zu besuchen. Einer wurde nämlich alle zwei Jahre im Nebenort ein ganzes Wochenende lang abgehalten. Die komplette Innenstadt wurde dafür abgesperrt und quasi jedermann vom Kleinkind bis zur Großmutter half mit.
Kisha hatte sich inzwischen schon so daran gewöhnt, daß Zindy überall auftauchte, daß sie den kleinen Stoff-Orang-Utan ganz automatisch in ihren Rucksack zu Geldbeutel und Handy gesteckt hatte. Der Kopf durfte natürlich oben rausschauen, damit Zindy auch etwas sehen konnte. Sonst könnte sie ja gleich zu Hause bleiben. Nina hatte dann auch nur ganz kurz gekichert als sie Zindy entdeckt hatte.
Sie zahlten den Wegzoll am Einlass und schlenderten dann aufs Gelände. Eigentlich hatten sie vorgehabt erst einmal alle Straßen und Gassen abzulaufen und dann ganz gemütlich etwas zu essen, aber kaum daß sie die ersten Buden erreichten, war ihr Plan dahin.
Ein junger Mann in der historischen Kleidung eines Schildknappen stürmte auf sie zu. „Liebreizende Maiden“, sprach er sie höflich an. „Darf ich euch als Ehrengäste zu unserem Knappenwettstreit laden?“
„Hallo Ludwig“, begrüßten die Freundinnen ihren früheren Schulkameraden.
„Knappe Ludowig, meine teuren Damen“, verbesserte er sie. „So viel Zeit muss sein.“ Er grinste sie an „Nun, wie steht es mit euch? In einer Stunde ist am Ritterlager ein Wettstreit. Ihr seid doch da?“
Er schaute so bettelnd, daß die zwei nicht anders konnten als zuzustimmen. Der Rundgang wurde etwas verkürzt und pünktlich zur vorgegebenen Zeit waren Kisha und Nina am Ritterlager, wo sie bereits erwartet wurden.
„Macht Plätze frei für die Maiden!“ forderte Ludwig barsch und verscheuchte zwei junge Burschen, die sich auf zwei mit Hilfe von Schafsfellen und bunten Tüchern umgestalteten Holzstühlen breit machten.
Ninas Tasche und Kishas Rucksack kamen auf eine schwere Truhe, die zwischen ihren Stühlen stand. Ludwig reichte ihnen Becher mit lieblichem Traubensaft und dann entdeckte er Zindy.
„Ei, wen habt ihr denn da noch mitgebracht?“ Er verbeugte sich vor Zindy.
„Das ist Zindy“, kicherte Kisha.
„Ah, Burgfräulein Zindyrella“, grüßte Ludwig den kleinen Stoff-Orang-Utan und stellte ihr einen wenn auch bedeutend kleineren Kelch mit Saft hin. „Euer Besuch ehrt uns.“
Zindy beschloss daraufhin, daß sie ihn mochte. Er sprach zwar ziemlich eigenartig, aber vielleicht legte sich das ja noch.
„Entschuldigt mich ein Weilchen. Ich muss mich auf den Wettstreit vorbereiten.“ Er verbeugte sich noch einmal kurz und verschwand in einem der nahen Zelte.
Das bot Zindy die Gelegenheit sich umzusehen. Äußerlich unbewegt erfassten ihre Augen jeden noch so kleinen Winkel des Ritterlagers.
Sie saß mit Kisha und Nina und ein paar weiteren Frauen auf festlich umgestalteten Stühlen. Die meisten waren zuvor einfache Holzstühle gewesen. Jetzt mit Decken, Fellen, Tüchern und Schmuckketten verziert waren sie für Ritter und Hofdamen durchaus angemessen. Dazwischen standen Holztruhen oder einfache Tische mit langen Tischdecken, Kelchen, Kerzenleuchtern und Obstschalen. Zu ihrer linken standen drei bunte Zelte. Überall gab es Fahnen und hölzerne Schwerter, Fässer und Ritterhelme. Direkt vor ihr befand sich ein freier Platz, auf dem gerade von Zofen, Rittern, Bauern und Kaufleuten eilig ein Parcours aufgebaut wurde. Ein Minnesänger mit Laute unterhielt die Besucher, die sich zu ihrer rechten hinter einem Holzgatter allmählich versammelten.
„Hört ihr Leut und lasst euch sagen“, intonierte der Minnesänger mit Inbrunst, „ein Kampf wird hier gleich ausgetragen. Der beste Knappe möge gewinnen und die Hand einer edlen Maid erringen.“
In den Zelten wurde es unruhig und dann ritten vier stolze Knappen auf Hüpfpferden auf den Kampfplatz. Jeder der Reiter war bewaffnet mit einem farbigen Besenstiel in der einen und einem farblich passenden Körbchen in der anderen Hand. Gelächter und Applaus begleitete sie während sie sich vor den Damen aufstellten.
„Hört, hört!“ rief der Minnesänger. „Diese vier tapferen Recken werden um die Gunst der holden Maiden streiten.“ Er wandte sich an die vier Reiter. „So wählt denn eure Damen!“
Durch leichtes Auf- und Abwippen setzten die Knappen ihre Pferde in Bewegung und stoppten vor der Dame ihres Herzens. Ludwig steuerte zielgerade auf Kisha zu. Er zwinkerte ihr kurz zu und sprach dann Zindy an.
„Wollt ihr meine Auserwählte sein, liebreizende Zindyrella?“ Er hielt ihr ein Stofftaschentuch hin. Es war blau, genauso wie sein Besenstiel, sein Eimer und die Feder und sein Helm. „Oder seid ihr gar so wagemutig mitreiten zu wollen?“ Jetzt zwinkerte er ihr zu.
Zindy hätte gerne zurückgezwinkert, aber das gehörte sich für ein Burgfräulein sicher nicht und Ludwig verstand sie bestimmt auch so.
Er nahm sie von der Truhe herunter, wickelte sie in das blaue Taschentuch und setzte sie vorsichtig in sein Körbchen. Dann wendete er seinen Rappen und ritt zur Startlinie.
Der Minnesänger schlug die Laute. „Bereit zum Streit, ihr wackeren Knappen?“ fragte er in die Runde.
Zindy war so was von bereit. Sie und der blaue Knappenritter würden den anderen gleich zeigen, was es heißt nicht Erster zu werden!
Das Startsignal ertönte und die vier Reiter preschten los. Zuerst lagen noch der rote und der gelbe Knappe vor ihnen, aber dann begann Zindy mit zu wippen und das machte wohl den Unterschied aus. Zentimeter um Zentimeter holten sie auf die beiden auf.
An der Wendemarke mussten sie mit ihrem Besenstiel einen Holzreif aufspießen. Im Vergleich zu seinen Konkurrenten traf der blaue Knappenritter beim ersten Versuch und so waren sie bereits längst auf dem Rückweg als die anderen noch versuchten ihren Reif zu ergatten. Unter tosendem Applaus ritten sie mit großem Vorsprung als erste über die Ziellinie.
Ludwig nahm die begeisterte Zindy aus seinem Körbchen und verbeugte sich mit ihr. Sie erhielt noch einen Handkuss von ihm und dann reichte er sie an Kisha zurück.
„Ich hoffe, ihr seid nicht eifersüchtig“, grinste er Kisha nach einer weiteren Verbeugung an. „Man sieht sich noch auf dem Fest“, rief er im Gehen.
Kisha hätte ihm beinahe verraten, dass Zindy eine heimliche Liebelei mit einem schwarzen Schaf hatte, aber da war Ludwig bereits im Zelt verschwunden.
Eine ganze Weile später trafen sie sich tatsächlich wieder. Die beiden Freundinnen hatten inzwischen den Gauklerhof mit Zauberern, Trickbetrügern, Kräuterhexen und allerlei anderen Gestalten besucht, an einer altertümlichen Gerichtsverhandlung teilgenommen und sich im Bogenschießen und Beilwerfen versucht. An dem einen oder anderen Stand hatten sich Kisha und Nina sogar etwas gekauft. Sie hatten sich an einem mittelalterlichen Tanz versucht und den Festumzug beklatscht. Als es nicht nur in Zindys Augen Zeit für ein bis drei vernünftige Leckereien war, waren sie beim Speisenausschank wieder auf Ludwig gestoßen.
Der kümmerte sich dort gerade um die Waffelausgabe. Natürlich bekamen Kisha und Nina eine besonders große und sogar für Zindy legte er eine extra Waffelecke mit Sahne und einer Bananenscheibe dazu.
Warum Kisha und Nina kicherten verstand Zindy nicht so wirklich. Dieser Ludwig-Ritter-Knappen-Reiter-Koch war doch sehr nett.